Seilbahnen sind die Zukunft der Stadtmobilität. Fahrgäste schweben über die Staus am Boden einfach hinweg. Technikjournal hat zum aktuellen Stand der Technik von urbanen Seilbahnen recherchiert und vergleicht das Verkehrsmittel mit bestehenden ÖPNV-Optionen. In Bonn steht die Seilbahn hoch im Kurs. //Von Melina Körner und Niklas Schäfer
Die urbane Mobilität steht vor neue Herausforderungen. Staus werden immer länger, Busse und Bahnen immer voller. Im urbanen Raum entstehen neue Mobilitätskonzepte: E-Scooter- und Car-Sharing sind in vielen Großstädten schon implementiert. Aber alle derzeitigen Mobilitätslösungen nutzen die gleiche zweidimensionale Infrastruktur. Eine urbane Seilbahn kann den Verkehr in die Höhe entzerren. Gleichzeitig überwindet sie geografische Hürden schneller und günstiger als eine Passstraße. "Vor allem in Süddamerika werden urbane Seilbahnen immer häufiger eingesetzt", sagt Klaus Erharter, Technischer Direktor des Seilbahnherstellers Leitner Ropeways. In Deutschland ist vor allem die Bürokratie ein Problem. Es gibt aber erfolgsversprechende Projekte.
ConnX-Prototyp schwebt und fährt
Bei Seilbahnen schießt sofort der Gedanke an Skigebiete in den Kopf. Urbane Seilbahnen für den Stadtverkehr bieten aber mehr. Die Firma Leitner Ropeways hat ein neues Konzept für Seilbahnen entwickelt, bei dem die Kabine nicht nur am Seil hängt, sondern auch am Boden auf einem Fahrgestell fahren kann. Auf einem eigenen Testgelände in Südtirol ist der erste Prototyp von "ConnX" bereits im Einsatz. Laut Pressesprecher Gotthard Schöpf ist das Unternehmen Leitner Ropeways schon sehr weit im Entwicklungsprozess: "Unser Prototyp funktioniert. Die Abkopplung vom Seil und die Kopplung an das autonome Fahrzeug ist zuverlässig." Auch das autonome Fahren gelingt bereits. Solange autonome Fahrzeuge nicht ohne Aufsicht am Straßenverkehr teilnehmen dürfen, wäre es denkbar, die Fahrzeuge mit den Kabinen auf einer eigenen Fahrbahn mit baulicher Trennung fahren zu lassen. Für diesen Fall muss hinterfragt werden, ob genügend Platz für eine weitere Fahrbahn neben Hauptstraßen, Busspuren, S-Bahnen, Fahrradwegen, Fußgängern und dem Fernverkehr verfügbar ist.
Upbus der RWTH Aachen mit ähnlichem Prinzip
Ein ähnliches Prinzip brachte die RWTH Aachen hervor, den sogenannten UpBus: Eine Seilbahn bringt die Kabine in die Stadt, dort wird sie auf einem Fahrgestell befestigt und fährt anschließend wie ein Bus auf Rädern weiter. Unterschiede gibt es beim Verschluss. Das Unternehmen Leitner fixiert die Kabine mit einem Hebelmechanismus auf dem Fahrgestell. Upbus arbeitet mit vier Befestigungspunkten, die eine schnellere Kopplung und Entkopplung zulassen. Diese Zeitersparnis kommt den Fahrgästen zugute: Der Systemwechsel vom Bus zur Seilbahn könnte sogar während der langsamen Fahrt erfolgen und wäre damit etwas komfortabler. Auch Upbus konnte bereits einen Testfahrt abschließen. Die smarte Schnittstelle iBOSS ist ursprünglich für die Kopplung modularer Satelliten im Weltall entwickelt worden. Jetzt findet sie ihre Anwendung auch auf der Erde im UpBus. Hier überträgt iBOSS zum Beispiel anliegende mechanische Lasten, Energien und weitere betriebsrelevante Daten.
Lärm- und Sichtschutz ist möglich
Seilbahnen im innerstädtischen Bereich werfen Probleme und Bedenken bei den Bürgern auf. Oft fühlen sich Anwohner in angrenzenden Wohngebieten beobachtet. Lärm- und Sichtbelästigungen werden ebenfalls von verschiedenen Bürgerinitiativen angesprochen. Der Blick ins Ausland zeigt, dass im urbanen Raum größtenteils Seilbahnen mit nur einem Seil zum Einsatz kommen. Diese genügen sich mit schmalen Stützen und emittieren mit etwa 50 Dezibel weniger Lärm als der Straßenverkehr in gemischten Wohn- und Stadtgebieten. Dort entstehen etwa 59 Dezibel. In der Regel fahren Seilbahnen sehr hoch über oder neben Wohngebieten, sodass der Blick in die Wohnungen unmöglich ist. "Die Verglasung der Kabine lässt sich zwischen zwei Stationen trüben, sodass sich Anwohner nicht durch ständige Beobachtung gestört fühlen müssen", erklärt Klaus Erharter.
Seilbahn im Vergleich mit anderen Verkehrsmitteln
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Urbane Seilbahn: Lösung für Städte mit Fluss und Bergen
Damit sich eine Seilbahn lohnt, müssen einige geografische Voraussetzungen gelten. Das sind breite Flüsse, die die Stadt durchqueren oder starke Geländestufen. Um einen Fluss zu überqueren, werden in der Regel Brücken erbaut oder Fähren eingerichtet. Brücken sind teuer, Fähren sind langsam. Außerdem ist ein gutes anknüpfendes ÖPNV-Netz mit Bus und Bahn eine wichtige Grundlage. "Vor allem in Städten, die durch einen Fluss geteilt werden, verlaufen alle wichtigen ÖPNV-Linien parallel zum Fluss. Es fehlen die Querverbindungen", erklärt Karl-Heiz Rochlitz aus der Initiative Seilbahn-Bonn. Diese könnte ein Seilbahnsystem bieten, unabhängig davon, ob die Kabinen anschließend auf der Straße weiterfahren.
Ein Schritt nach dem anderen
Das Urteil von Dr. Ing. Thomas Baum, Geschäftsführer der Beratende Ingenieure für Verkehr, Städtebau und Umweltschutz GmbH (VSU) klingt zunächst vernichtend: "Die Seilbahn allein hat in Deutschland noch keinen volkswirtschaftlichen Nutzen in der Praxis bewiesen. Da brauchen wir über eine Erweiterung erstmal nicht sprechen." VSU hat in Bonn eine Machbarkeitsstudie erstellt, die positiv ausfällt. So schaffte es Bonn als erste deutsche Stadt, einen volkswirtschaftlichen Nutzen für eine urbane Seilbahn auf dem Papier vorzulegen. Die sogenannte standardisierte volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse erzielt mit dem Ergebnis 1,6 einen Wert über 1 und würde sich entsprechend für die Bevölkerung der Stadt Bonn lohnen. Das liegt vor allem an den geografischen Voraussetzungen: Der Rhein verläuft mitten durch die Stadt und das Universitätsklinikum auf dem Venusberg ist bisher durch die Geländestufe schlecht erreichbar.
Seilbahnkonzept in Bonn
Mit dem positiven Ergebnis der Analyse wird die Planung jetzt konkreter. In Bonn sollen zwei Seilbahnlinien entstehen. Die geplante Trasse hat eine Länge von knapp 4300 Metern und sie soll fünf Haltestellen enthalten: Schießbergweg/Ramersdorf, Rheinaue, UN Campus, Loki-Schmidt-Platz (früher Hindenburgplatz), Uniklinik West. Aus der Sicht von Helmut Haux, Abteilungsleiter Mobilität und Verkehr der Stadt Bonn, wäre das ein großer Vorteil für viele Arbeitnehmer: "Die Seilbahn soll das Uniklinikgelände auf dem Venusberg sowie Unternehmen wie Haribo, DHL und die Telekom an den ÖPNV anbinden und damit vielen Mitarbeitern den stressigen Berufsverkehr ersparen." Für die Seilbahn müssten 34 Stützen gebaut werden, die zum Großteil auf öffentlichem Grund stehen sollen. Die bisherigen Berechnungen basieren auf einer Seilbahn mit einem Seil, die sich mit vergleichsweise schmalen Stützen begnügt. Einige Anwohner und Grundeigner stellen sich in Bonn gegen den Seilbahnbau. Sie haben Bedenken wegen der Lautstärke an den Stationen und bei er Überfahrt von Stützen.
MasterSlider: Seilbahnstreckenverlauf // Bilder: Melina Körner, Kartographie: ©www.openstreetmap.org/Bundesstadt Bonn // Gestaltung: ©Baumgardt Consultants
Förderung für die Seilbahn in Bonn
Seit 2015 ist die Bonner Seilbahn in Planung. Die anfangs erstellte Machbarkeitsstudie ergab ein positives Resultat. Seitdem laufen Gespräche mit dem Land NRW sowie dem Bund. Auch für den Fall in Bonn soll es Förderungen geben. Der Bau der Seilbahn soll 75 Millionen Euro kosten. Vorsitzender der Gegeninitiative "Bonn bleibt Seilbahnfrei" Gundolf Reichert gibt den Hinweis: "Die Kosten für die Kabinen sind nicht förderfähig. Da kommen noch einige Mehrkosten auf die Stadt Bonn und ihre Bürger zu." Bund und Land wollen den Seilbahnbau in Bonn mit 71 Millionen Euro für die Infrastruktur fördern.
Deutsche Städte noch nicht bereit für die Seilbahn
Das Seilbahnprojekt der Klimahauptstadt Bonn ist ein Blick in die Zukunft. Alle bisherigen Seilbahnen in der Stadt sind touristischer Natur und werden privat betrieben. In Deutschland gibt es noch keine urbane Seilbahn, die dem ÖPNV angehört. Auf anderen Kontinenten sind Seilbahnen schon eine wichtige Stütze für die Personenbeförderung. In Mexico City dauert eine Fahrt mit der Seilbahn rund 40 Minuten, während PKW für die selbe Strecke etwa zwei Stunden brauchen. "Unsere größten Hürden liegen oft in der Bürokratie. Es fehlen die Genehmigungen für innovative Mobilitätslösungen", klagt Klaus Erharter. Wenn nun zum Seilbahnkonzept ein vollautonomes Fahrzeug hinzukommt, das ohne Aufsichtsperson am Straßenverkehr teilnimmt, wird die Genehmigung hierzulande zunächst unmöglich. Aktuell ist es in Deutschland nicht möglich, autonome Fahrzeuge zuzulassen, weil es kein Prüfverfahren dafür gibt.
Teaserbild: Neue Verkehrssysteme lösen Probleme moderner Städte. Bild: Leitner Ropeways