Nach dem VW-Abgasskandal, zu hohen Schadstoffemissionen in Städten und zukünftig drohenden Fahrverboten, steckt der Diesel-PKW in einer schweren Krise. Diesel-PKW, die nicht die "Euro-6-Norm" erfüllen, droht die Aussperrung aus deutschen Innenstädten. Ein mittelständisches Unternehmen aus Bonn will dafür eine Lösung gefunden haben. //Von Daniel Kühnel und Boris Müller
28.07.2017//Eine Möglichkeit, um den "Euro-5-Diesel" vor einem Ausschluss zu bewahren, ist ihn auf die strengere "Euro-6-Norm" aufzurüsten. Genau hier setzt die Firma Twintec Technologie GmbH aus Bonn an. Das neue System adaptiert dabei eine Technik aus der LKW-Abgasreinigung. Um die strengen "Euro-6-Normen" zu erfüllen, dürfen neue Dieselfahrzeuge maximal 80 Milligramm Stickoxide pro Kilometer ausstoßen. Die Einhaltung dieses Grenzwertes ist ohne Harnstoff-Einspritzung nicht möglich. Bei der Harnstoff- oder AdBlue-Einspritzung wird den giftigen Stickoxiden der Sauerstoff entzogen. Dies geschieht in einem Katalysator durch eine chemische Reaktion. Hier reagiert das aus dem Harnstoff gewonnene Ammoniak mit den Stickoxiden zu ungefährlichem Stickstoff und Wasser.
90 Prozent weniger Stickoxide
Das Nachrüstsystem von Twintec dagegen setzt zur Erzeugung von Ammoniak einen elektrisch betriebenen Generator ein. Dadurch wächst der Temperaturbereich, in dem die Stickoxid-Reduktion optimal funktioniert. Damit emittiert das Fahrzeug deutlich weniger Stickoxide. "Das System ist bereit. Jetzt ist der Gesetzgeber gefordert und muss durch die entsprechende Verordnung, Sicherheit für die Autobesitzer schaffen: Wenn ein entsprechendes System nachgerüstet wurde, ist das Fahrzeug Euro-6-konform", so Nadine Lange, Projektleiterin Vorstandsprojekte der Twintec Technologie GmbH. Auch der ADAC bescheinigte in einem Test dem System eine Minderung der Stickoxide um durchschnittlich 90 Prozent. Damit wird die "Euro-6-Norm" nicht nur unterschritten, sondern das Nachrüstsystem arbeitet sauberer als die meisten serienmäßigen Euro-6-Dieselfahrzeuge.
Festlegung durch den Gesetzgeber
"Wenn der Gesetzgeber anspruchsvolle Standards nicht ausnahmslos fordert, dann wird das eingebaut, was die Grenzwerte erfüllt. Kein Hersteller wird seine SCR-Anlage anspruchsvoller auslegen, als der Gesetzgeber oder seine Firmenpolitik fordert", sagt Lars Mönch, Fachgebietsleiter im Bereich "Schadstoffminderung und Energieeinsparung im Verkehr" des Umweltbundesamts. Laut Hersteller soll das System den Autofahrer 1.500 Euro kosten, offen bleibt, wie hoch die Kosten für den Einbau sind. Welche "Euro-5-Diesel" für eine Nachrüstung in Frage kommen, ist ebenfalls ungewiss. Der ADAC schreibt in seinem EcoTest: "Vor dem Serieneinsatz müssen noch folgende Fragen geklärt werden: Kosten mit Einbau, Systemeinbindung in das Fahrzeug, Dauerhaltbarkeit und Betriebssicherheit." Laut Projektleiterin Nadine Lange würde das System in der Serienreife voraussichtlich ähnliche Garantielaufzeiten haben, wie die Rußpartikelfilter-Systeme aus der Euro-4 Nachrüstung, allerdings müsse der Gesetzgeber wahrscheinlich auch dies genau festlegen.
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Abgasreinigung beim BNOx-SCR-System der Firma Twintec. //Bild: Twintec Technologie GmbH. //Thinglink-Grafik: Boris Müller und Daniel Kühnel
Realitätsfremder Fahrzyklus
Doch wie konnte es trotz strenger Abgasnormen zu so hohen Schadstoffemissionen bei Diesel-Fahrzeugen kommen? Sowohl Euro-5-Diesel-PKW als auch Fahrzeuge, die die "Euro-6-Norm" erfüllen, überschreiten die Stickoxidgrenzwerte im Fahrbetrieb deutlich – teilweise um das fünf- bis sechsfache. Grund hierfür ist unter anderem ein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren, der sogenannte Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ), durch den der Kraftstoffverbrauch und die Emissionen von Fahrzeugen auf dem Prüfstand ermittelt werden. Die Testwagen müssen nach klar definierten Bedingungen getestet werden. Der Fahrzyklus dauert insgesamt 20 Minuten, wobei zwei Drittel der Zeit die Fahrt im Stadtverkehr simuliert wird. Für die Testfahrzeuge gibt es zudem bestimmte Vorgaben in Bezug auf die Größe und den Typ der Reifen oder das zu verwendende Motorenöl. Der NEFZ steht jedoch stark in der Kritik, da er bereits 1996 eingeführt wurde und sich seither nicht weiterentwickelte. Die Probleme liegen auf der Hand: Der Stadtverkehrsanteil ist zu groß, es wird viel zu schwach beschleunigt und die konstante Umgebungstemperatur von etwa 20 bis 30 Grad ist unrealistisch. Außerdem werden schnellere Autobahnfahrten nicht berücksichtigt, das heißt Geschwindigkeiten von über 120 km/h werden vom NEFZ nicht erfasst und fließen nicht mit in die Messung ein. Das alles führt auch zu den großen Unterschieden zwischen den Messwerten vom Prüfstand und den Schadstoffemissionen im realen Fahrbetrieb. "Die Fahrzeugindustrie hat weitgehend ganz stur die Einhaltung der Grenzwerte auf den NEFZ-Zyklus optimiert", erläutert Lars Mönch.
Neue Prüfmethoden
Abhilfe zur realitätsnahen Messung soll der WLTC-Fahrzyklus (englisch: Worldwide harmonized Light vehicles Test Cycle) schaffen. Er wurde auf UN-Ebene entwickelt, um den Kraftstoffverbrauch und die Emissionen bei Fahrzeugen standardisiert anzugeben. Höhere Geschwindigkeiten und häufigere Brems- sowie Beschleunigungsphasen sollen den Fahrbetrieb realer darstellen. Noch dieses Jahr soll der WLTC in der EU in Kraft treten. "Der WLTC ist endlich realistischer als der NEFZ, weil er beispielsweise hinsichtlich seiner Grunddaten aus realen Fahrverhaltensmustern abgeleitet worden ist", so Mönch. Zudem sei es sehr wahrscheinlich, dass der verbesserte Fahrzyklus parallel zu RDE, sogenannten Real Driving Emissions, eingeführt wird. Zusätzlich zum WLTC soll das RDE-Prüfverfahren das reale Emissionsverhalten von Fahrzeugen darstellen und die Differenzen der Labormessergebnisse im Vergleich zum tatsächlichen Schadstoffausstoß reduzieren.
"Ziel muss es sein, die NOx-Werte frühzeitig einzuhalten"
Aktuell werden unterschiedliche Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffemissionen bei Diesel-PKW diskutiert: von Blauen Umweltzonen, die Euro-5-Diesel-Fahrzeuge aussperren würden, bis hin zu Nachrüstsystemen, wie denen der Firma Twintec. Konkrete Pläne, was nun endgültig umgesetzt werden soll, gibt es allerdings noch nicht. Flächendeckend könnten trotzdem erst weit nach 2025 die Stickoxidwerte eingehalten werden. Daher müsse das Ziel sein, diesen Zeitpunkt durch effektive Maßnahmen zeitnah zu erreichen.
Überschreitung der Stickoxidgrenzwerte
Boris Müller und Daniel Kühnel, Technikjournalismus/PR, 6. Semester