Viele Alltagsartikel wie wasserabweisende Kleidung oder Antihaftbeschichtungen von Küchengeräten enthalten Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen. Die Chemikalien sind gefährlich für Mensch und Umwelt. Verbänden reichen bisherige Grenzwerte nicht weit genug. Sie fordern ein vollständiges Verbot. // von Lara Krill und Melanie Kruse
Die neue Trinkwasserverordnung aus dem Juni 2023 schreibt unter anderem Grenzwerte für eine Reihe von per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) fest; diese treten ab 2026 bzw. 2028 in Kraft. Die über zehntausend Substanzen sind in ihren Eigenschaften zum Teil sehr unterschiedlich. Wegen ihrer Fähigkeit Wasser, Öl oder Schmutz abzuweisen, werden PFAS in den verschiedensten Industriebereichen eingesetzt; auch in Alltagsgegenständen wie Regenjacken oder Zahnseide sind sie zu finden. Sie sind schädlich für Mensch und Umwelt und werden mit dem Begriff "Jahrhundertgift" assoziiert, da sie besonders langlebig sind.
PFAS reichern sich im menschlichen Körper an
PFAS gelten als schwer abbaubar und sammeln sich besonders in Gewässern an. Nicht nur über das Trinkwasser gelangen sie in den menschlichen Körper, auch über die Nahrungskette – über Nahrungsmittel auf tierischer oder pflanzlicher Basis. Sie gelten als bioakkumulativ, d.h. sie reichern sich im Körper an und werden nicht wieder ausgeschieden.
Wegen dieser Eigenschaft entstehen Gesundheitsrisiken für den Menschen wie Leberschäden, Fruchtbarkeitsstörungen und Schilddrüsenerkrankungen. Ebenso werden sie in den Zusammenhang mit einem erhöhten Krebsrisiko gebracht. Das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin (ITEM) ist an der Erforschung der Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen beteiligt. Basierend auf tierversuchsfreien Simulationen werden Grenzwerte identifiziert, um Gesundheitsrisiken möglichst konkret vorherzusagen.
Vielfältige Eigenschaften durch molekularen Aufbau – Beispiel PFOA
Eine Chemikalie der Gruppe ist die Perfluoroktansäure (PFOA), deren Verwendung seit 2020 verboten ist. Davor wurde sie für Arbeitsschutztextilien oder Feuerlöschschäume verwendet. PFOA gehört zu den perfluorierten Tensiden; bei perfluorierten Stoffen sind alle ursprünglichen Wasserstoff-Atome durch Fluor-Atome ersetzt. Tenside zeichnen sich durch einen hydrophoben und einen hydrophilen Molekülteil aus. Sie verringern die Oberflächenspannung des Lösungsmittels und sind fähig zwei Flüssigkeiten, die sich normalerweise nicht vermischen lassen, zu vermengen. Das liegt an den verschiedenen Bindungen des Moleküls. Der hydrophile Teil besteht aus polaren Bindungen (s. Thinglink Punkte 1 bis 3), die eine gute Löslichkeit in Wasser bewirken. Im Gegensatz dazu löst sich der hydrophobe Teil mit den unpolaren Bindungen (s. Thinglink Punkte 4 & 5) nicht in Wasser, dafür besser in Fett oder Öl.
Besonders beim Arbeitsschutz ist es von Vorteil, die Ausrüstung vor dem Eindringen von Flüssigkeiten oder Schmutz zu schützen. Zudem ist PFOA flammenhemmend und sorgt für eine längere Lebensdauer.
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PFOA – Perfluoroktansäure auf atomarer Ebene // Quelle: Melanie Kruse mit IQMol
Persistenz lässt keinen natürlichen Abbau zu
Für die Persistenz der PFAS ist die Bindungsstärke zwischen den Kohlenstoff- und Fluor-Atomen (s. Thinglink Punkt 5) verantwortlich. Je höher der Zahlenwert, desto stärker die Bindung und desto mehr Energie (in kJ) pro Stoffmenge (in mol) muss für die Trennung der Bindung aufgewendet werden. Wegen der Stärke dieser unpolaren Bindung gelten PFAS als schwer abbaubar. In der Natur gibt es keine Prozesse, die diese Energie aufbringen können, da diese Bindung künstlich hergestellt ist.
In der Gruppe der PFAS gibt es viele verschiedene Zusammensetzungen, doch alle beruhen auf der persistenten Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindung. Fähigkeiten, wie wasser-, fett- oder schmutzabweisend, hingegen kommen zum Teil durch verschiedenen Molekülteile zustande, weswegen manche PFAS besser geeignet sind für gewisse Anwendungen als andere.
PFAS sind auf der gesamten Erde nachweisbar
PFAS verbreiten sich weltweit über Wasser und Luft. Ergebnisse einer Studie der Universität Stockholm zeigen, dass PFAS global nachgewiesen werden konnten. Selbst in wenig besiedelten und abgelegenen Gebieten, wie der Antarktis oder Tibet, konnten Werte gemessen werden, die die strengsten Richtlinien übertreffen.
In Europa wurden mehr als 17.000 Orte mit einer relevanten Verschmutzung lokalisiert. Darunter befinden sich gut 2.000 mit Werten, die erhebliche Gefahren für die menschliche Gesundheit aufweisen.
Mehr als 350 belastete Orte in NRW
Etwa zehn Prozent der in Europa lokalisierten Orte befinden sich in Deutschland. Nachweislich sind besonders Kläranlagen und Mülldeponien von Belastungen betroffen. An zahlreichen Militärstandorten und Flugplätzen sind durch den Einsatz von PFAS-haltigen Löschschäumen hohe Werte zu finden. Besonders hohe Konzentrationen werden in der Nähe von Industriestandorten vermutet, die PFAS herstellen oder weiterverarbeiten. Bisher gibt es keine Bestätigung dieser Hypothese, da es keine Verpflichtung für Untersuchungen gibt.
Einzelne Behörden wie zum Beispiel das Landesamt für Natur, Umwelt & Verbraucherschutz Nordrhein-Westfahlen (NRW) führen regelmäßige Tests in der Nähe der Standorte durch. Ebenfalls werden Untersuchungen an über 100 Fließgewässern durchgeführt. Insgesamt gibt es in NRW an mehr als 350 Orten Daten zu Belastungen.
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NRW – PFAS-Belastung an der Wasseroberfläche // Datenquelle: NDR, WDR und SZ; Bildquelle: Melanie Kruse
Sehr teure Sanierung der PFAS Belastungen
"Das Beseitigen der Schäden wird kostenintensiv sein", erklärt Professor Gerhard Lammel vom Max-Planck-Institut für Chemie (MPIC). "Selbst wenn jetzt alle diese Hotspots bereinigt sind, dann haben wir die Stoffe immer noch in der Umwelt. Der größte Handlungsbedarf ist dort, wo etwas in den Boden und in das Grundwasser gedrungen ist. Da wird bestimmt auch das meiste Geld ausgegeben werden müssen."
Eine Studie des Nordischen Ministerrates schätzt die Kosten für die Sanierung der belasteten Umwelt in den 32 Mitgliedstaaten der Europäischen Umweltagentur (EEA) wegen der begrenzten Datenlage grob auf etwa 10 bis 20 Milliarden Euro. Die Kosten, um gesundheitliche Beeinträchtigungen zu entschädigen, sollen für Europa bei bis zu 84 Milliarden Euro liegen.
Orientierungs- und Grenzwerte im Kommen
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV), speziell das Umweltbundesamt (UBA), hat 2022 einen Leitfaden zur PFAS-Bewertung herausgegeben. In diesem werden 13 Substanzen der PFAS mit Geringfügigkeitsschwellen-Werten (GFS-Werte) bzw. Gesundheitlichen Orientierungswerten (GOW) versehen, die für das Grundwasser als prioritär gelten.
Darüber hinaus sind in der Trinkwasserverordnung seit Juni 2023 Grenzwerte für insgesamt 24 PFAS festgeschrieben. Diese Trinkwassergrenzwerte von 100 Nanogramm pro Liter und 20 Nanogramm pro Liter treten 2026 und 2028 in Kraft. Neben der Höhe der Grenzwerte wird kritisiert, dass die vier bedenklichsten PFAS erst ab dem späteren Zeitpunkt reguliert werden.
In einem Manifest, unterschrieben von mehr als 120 Organisationen, fordern europäische Verbände ein vollständiges Verbot aller PFAS bis 2030. Einen entsprechenden Antrag haben Behörden mehrerer europäischer Länder im Januar 2023 bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht.
Von Entwicklung zum Verbot
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PFAS – Historie und Ausblick // Quelle: Lara Krill
Quellenverweis
Teaserbild: Alle 15 Outdoorjacken, die im Zuge einer Studie des Umweltbundesamtes 2014 getestet wurden, beinhalteten PFAS zum Abweisen von Wasser. // Lara Krill mit Playground (KI)