Drei Testfahrzeuge mit Sensoren und Kameras fahren auf einer Straße mit roten Radwegen. Im Vordergrund befindet sich ein weißer VW Passat mit dem Kennzeichen “KL TU 43”, gefolgt von einem weißen Kia Niro mit “Modis”-Branding und einem silbernen Audi. Die Umgebung besteht aus Bäumen, Gebäuden und einer Fußgängerbrücke.

Projekt AORTA: Rettungsgassen schon bald automatisch?

Expertinnen und Experten der Technischen Universität Kaiserslautern haben im Rahmen des Projekt AORTA das automatische Bilden von Rettungsgassen möglich gemacht. Doch wie ausgereift ist die Technik? // von Finn Walterscheid und Leander Müllenholz

Bei Notrufen ist es entscheidend, dass die Sanitäter so schnell wie möglich vor Ort sind. Ein hohes Verkehrsaufkommen in der Hauptverkehrszeit und das Fehlen einer Rettungsgasse können dazu führen, dass wertvolle Zeit verloren geht. Seit 2021 wird an der Technischen Universität Kaiserslautern am Projekt AORTA geforscht, das Ende 2024 abgeschlossen wurde. In dieser Zeit haben die Expertinnen und Experten bewiesen, dass es möglich ist, die Rettungsgasse automatisch zu bilden.

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Jede Sekunde zählt

Rettungsdienstverbände schätzen, dass das frühere Eintreffen der Einsatzkräfte um nur vier Minuten die Überlebenschancen um bis zu 40 Prozent erhöhen kann. Eine richtig gebildete Rettungsgasse ist nur selten vorzufinden, da sie nur durch das korrekte Verhalten aller Verkehrsteilnehmer entsteht.

Die digitale Rettungsgasse

Rettungskräfte bräuchten zum Erreichen der Einsatzstelle eine eigene Spur. Das Projekt Aorta hat sich dem Erstellen dieser Spur gewidmet. Ein anfahrendes Rettungsfahrzeug sendet ein Signal an ein Verkehrsmanagementsystem. Informationen wie der Ort des Unfalls, Position des Rettungsfahrzeugs und gesammelte Verkehrsdaten werden von einer KI dann als Grundlage zur Berechnung einer geeigneten Rettungsgasse genutzt. Dieser Teil des Systems, das sogenannte Makromanagement, konzentriert sich auf die großflächige Bildung der digitalen Rettungsgasse, an der sich die Fahrzeuge im Straßenverkehr orientieren.

Individuelles Ausweichen

An Kreuzungen und ähnlichen unübersichtlichen Verkehrssituationen sind Autofahrer oft verwirrt und wissen nicht, in welche Richtung sie ausweichen sollen. Um Chaos in solchen Situationen zu vermeiden in denen die Technik des Makromanagement überfordert ist, sendet das System beim sogenannten Mikromanagement allen Fahrzeugen individuelle Informationen zum genauen Ausweichen. Eine KI nutzt kontinuierlich die neuesten Informationen über den Verkehrsfluss, um die Rettungsgasse effizient zu steuern. Das passiert über Kameras an Kreuzungen und kleine Sensoren-Blöcke die Informationen über den Verkehrsfluss sammeln. Auf Basis dieser Informationen werden die Anweisungen an die Autos zum Ausweichen sekündlich aktualisiert. Auf diese Weise wird die Blockade der Strecke gelöst, sodass der Rettungswagen seinen Weg fortsetzen kann.

Integration ins Verkehrsmanagement

Zur effektiven Umsetzung des Konzepts müssen so viele Verkehrsteilnehmer wie möglich in das System eingebunden werden. Doch gerade bei alten Fahrzeugen oder auch Fahrrädern ist es nicht möglich die notwendigen Informationen zu erheben. Das System braucht Daten wie den genauen Standort und eine Verbindung zu dem zentralisierten AORTA Server, der dem Gerät Updates zum Verkehr und der Rettungsgasse sendet. Hier käme AORTA als eine App auf dem Smartphone zum Einsatz. Das Smartphone kann beide Voraussetzungen erfüllen und ist bei der Mehrheit der Menschen vorhanden.

Koordination von autonomen und älteren Fahrzeugen zur Bildung der Rettungsgasse

Bei selbstfahrenden Fahrzeugen ist es möglich, dass das Auto basierend auf den eigenen Sensorinformationen und durch Datenaustausch mit dem System automatisch ausweicht, um die Rettungsgasse zu bilden. Eingreifen und die Kontrolle übernehmen ist möglich, aber selbst zu fahren bleibt eine Option, wenn die Situation überwältigend wirkt. Um das übergeordnete Ziel einer freien Spur zu erreichen, informiert das System die autonomen Fahrzeuge frühzeitig über das anfahrende Rettungsfahrzeug. So können sie ihr Ausweichen mit den vorliegenden Daten planen und mit anderen Fahrzeugen abstimmen. Eine App bindet nicht-autonome Fahrzeuge ins System ein. So erhalten sie Informationen des Makromanagements und können auf Anweisung selbstständig ausweichen.

Herausforderungen für AORTA

Mit einer Einführung des Systems ist voraussichtlich in fünf Jahren zu rechnen. Der Koordinator des Projekts, Naim Bajcinca sagt, dass sich zum Thema Datenschutz noch keine Gedanken gemacht wurden. Auch das Problem der allgemeinen Sicherheit des Systems bleibt offen. Hacker könnten AORTA missbrauchen, um den Verkehrsfluss negativ zu beeinflussen und dadurch Schaden anzurichten. Das System ist aktuell, weder fehlerfrei noch perfekt. Es erfordert noch viele Tests und Verbesserungen bevor es großflächig einsatzbereit ist. Der rein technische „Proof of Concept“ ist erbracht – die Durchführung ist möglich.

Kritik vom ADAC

Christoph Hecht ist Fachreferent für Automatisierung und Digitalisierung im Verkehr des ADAC. Er hat Bedenken gegenüber den Zielen vom Projekt AORTA und sieht es als sehr ambitioniert an. Die App ließe sich seiner Meinung nach nur schwer in die Breite Bevölkerung einführen und sieht das fehlende Interesse der Allgemeinheit als Problem an. Die nahliegende Lösung für dieses Problem sei das feste Einbetten der App in neue Automodelle. Eine Bauvorschrift, die dies für Automobilhersteller verpflichtend macht, existiere jedoch nicht und werde sich vorerst auch nicht ändern. Im Straßenverkehr ist die Technik von Fahrzeugen und Infrastruktur nie auf demselben Stand. Das wiederum wirft Fragen zu Kompatibilität und Sicherheit des gesamten Systems auf. Durch das Fehlen von Homogenität kann es laut ihm zu Chaos kommen.

Ein wichtiger Schritt in Richtung autonomer Verkehrssicherheit

Nun wollen die Expertinnen und Experten sich diesen wichtigen Problemen widmen und das Projekt fortsetzen. Die Hauptaufgabe besteht darin, das System zu testen und zu optimieren. Auch die Entwicklung von AORTA als App hat Priorität, damit das System allen schnell und einfach zugänglich ist. Laut Professor Bajcinca ist eine Fortführung des Projekts in Kooperation mit einem Automobilhersteller durchaus möglich, da das Projekt für seine Zukunft finanzielle Mittel benötigt.

Teaserbild: Die Autos vom Projekt AORTA sind mit Sensoren ausgestattet und können bei Signal von einem Rettungswagen selbstständig ausweichen //Foto: Leander Müllenholz

Die Autoren

Autorenfoto Leander Müllenholz

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Autorenfoto Finn Walterscheidt

Finn Walterscheid

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