Hybride OP-Säle: 5G verringert die Latenz in der Telechirurgie

Die Telechirurgie, bei der Chirurg*innen Eingriffe aus der Ferne durchführen, wurde bislang durch technische und logistische Hürden wie Latenzzeiten und begrenzte Bandbreiten behindert. Das 5G-OR-Projekt integriert 5G, robotische Systeme und KI. // Von Lena Wohlgemuth und Oliver Rill

Das Forschungsprojekt 5G-OR, das seit dem 1. Januar 2022 läuft und Ende 2024 abgeschlossen wurde, hat hybride Operationssäle entwickelt. In Berlin, Mannheim und Straßburg wurden dafür 5G-Technologie, Künstliche Intelligenz (KI) und haptisches Feedback nahtlos integriert. Die Technologie dieser Operationssäle zielt darauf ab, chirurgische Eingriffe präziser und sicherer zu gestalten, indem sie in Echtzeit wichtige Daten sammelt und verarbeitet.

5G ermöglicht Fern OP in Echtzeit

„5G dient hier als Kommunikationsinfrastruktur, eine Art Datenautobahn, die es erlaubt, Geräte und Datenquellen im OP effizient zu vernetzen“, erläutert Johannes Horsch, Teamleiter für Medizintechnische Assistenzsysteme am Fraunhofer IPA. Durch die hohe Bandbreite von 5G können große Datenmengen, wie sie bei bildgebenden Verfahren oder in der Kommunikation mit Robotersystemen erforderlich sind, in Echtzeit übermittelt werden. Diese schnellen Datenverbindungen sind von entscheidender Bedeutung, um während einer Operation eine kontinuierliche und fehlerfreie Kommunikation zwischen Chirurg*innen und unterstützender Technologie zu gewährleisten.

KI-gestützte Bildanalyse

Hybride OP-Säle sind keine klassischen Operationsräume. Sie kombinieren hochauflösende Bildgebungsverfahren wie MRT oder CT mit KI und schaffen so neue Eingriffsmöglichkeiten. Besonders minimal-invasive Operationen können von der Technologie profitieren. So werden die endoskopischen Bilder oder Videosequenzen während der Operation ausgewertet, um potenzielle Risiken oder Anomalien frühzeitig zu erkennen. Sicherheitszonen werden definiert, und die Chirurg*innen erhalten Hinweise, wo sie sicher schneiden können.

Roboterunterstützung in der Telechirurgie

Neben der KI-gestützten Bildanalyse kommen weitere technologische Assistenzsysteme zum Einsatz. Haptisches Feedback ermöglicht es Chirurg*innen, Berührungen und Widerstände realistisch zu erleben, auch wenn sie sich weit vom Patienten entfernt befinden. Mobile Roboter übernehmen den Transport von medizinischem Material und Instrumenten und entlasten das Krankenhauspersonal von logistischen Aufgaben, die in traditionellen OPs manuell durchgeführt werden.
Diese Technologie wird derzeit in Berlin, Mannheim und Straßburg getestet, mit dem Ziel, sie weltweit in weitere Kliniken zu integrieren.

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Thinglink: Experimenteller hybrider Operationssaal // Quelle: Frauenhofer IPA, Lena Wohlgemuth

Hürden der Telechirurgie

Die Telechirurgie offenbarte früh deutliche Schwächen. Bereits bei der weltweit beachteten Lindbergh-Operation im Jahr 2001 – einer transatlantischen Fernoperation, bei der ein Team in New York eine Patientin in Straßburg erfolgreich operierte – zeigten sich die Herausforderungen: Verzögerungen in der Datenübertragung (Latenzzeiten) stellten ein erhebliches Risiko dar, besonders bei komplexen Eingriffen. Außerdem verlangte die Technologie extrem hohe Bandbreiten, die bestehende Netzwerke kaum bewältigen konnten. Hinzu kamen die enormen Kosten für Glasfasernetze und Robotersysteme, die eine breite Anwendung nahezu unmöglich machten.

Da Vinci und Dexter – Robotertechnologie im OP

Trotz dieser Herausforderungen wurde die Technologie weiterentwickelt. Systeme wie der Da-Vinci-OP-Roboter haben in vielen Kliniken weltweit Einzug gehalten und unterstützen Chirurg*innen bei Eingriffen vor Ort. Auch der Dexter-Roboter, der 2023 erstmals am Universitätsklinikum Bonn (UKB) eingesetzt wurde, zählt zu den fortschrittlichsten chirurgischen Assistenzsystemen. Bislang werden Systeme wie der Da-Vinci- und der Dexter-OP-Roboter ausschließlich für Eingriffe eingesetzt, bei denen die Chirurg*innen sich in direkter Nähe, das heißt wenige Meter vom Patienten entfernt befinden und keine großen Distanzen überwunden werden müssen.

5G: Der Durchbruch bei Latenzzeiten?

Der Dexter-OP-Roboter im Einsatz: Dr. Jan Arensmeyer beim „Docking“ des Roboters an einem Patienten im UKB

Dr. Jan Arensmeyer beim „Docking“ des Dexter-OP-Roboter an einem Patienten im UKB // Quelle: Universitätsklinikum Bonn.

„Hohe und zum Beispiel schwer kontrollierbare Latenzzeiten sind momentan noch eine der großen Herausforderungen der Telechirurgie“, erklärt Professor Hanno Matthaei, Leiter für OP-Robotik am UKB. Mit dem Aufkommen neuer Netzwerktechnologien wie 5G eröffnen sich jedoch Perspektiven, einige der bisherigen Herausforderungen zu überwinden. Im Vergleich zu Glasfasernetzen bieten 5G-Verbindungen potenziell Vorteile (s. Thinglink) für die Telechirurgie. Das Forscherteam des 5G-OR-Projekts arbeitet daran, diese Möglichkeiten zu realisieren.

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Thinglink: Vergleiche Glasfasernetze - 5G-Verbindungen // Quelle: Canva, Lena Wohlgemuth

Menschliche Expertise bleibt entscheidend

Hanno erklärt, dass Ärzt*innen in diesen hoch technologisierten Umgebungen dennoch unverzichtbar bleiben. Die Systeme unterstützen, ersetzen jedoch keine Fachkräfte. Besonders komplexe Entscheidungen, etwa bei unerwarteten Komplikationen, erfordern nach wie vor menschliches Urteilsvermögen.

Spezialisierte Fachkräfte für Telechirurgie nötig

In ländlichen und kleineren Städten fehlt es oft an spezialisierten Fachkräften, was die medizinische Versorgung erschwert. Telechirurgie könnte hier eine Lösung bieten, indem sie Chirurgen ermöglicht, ortsunabhängig und schneller auf kritische Situationen zu reagieren. Die Hauptanwendungsbereiche der Technologie liegen unter anderem in der Herz- und Gefäßchirurgie, der Neurochirurgie und der interventionellen Radiologie. Mobile Roboter können zudem logistische Aufgaben wie den Transport von medizinischem Material übernehmen und so das Krankenhauspersonal entlasten. Allerdings bleibt die Frage der Wirtschaftlichkeit: Die hohen Investitionskosten erfordern nachhaltige Finanzierungsmodelle, damit sich der Einsatz langfristig lohnt – insbesondere für kleinere Krankenhäuser, die nicht über die gleichen Ressourcen wie große Kliniken verfügen.

Herausforderungen und ethische Fragen der Telechirurgie

Trotz Fortschritten in der Telechirurgie bestehen weiterhin technische, regulatorische und ethische Herausforderungen.„Regulatorische Anforderungen sind ein großer Hemmschuh“, erklärt Johannes Horsch vom Fraunhofer IPA. Dazu gehören Datenschutzrichtlinien sowie strenge Auflagen zur Patientensicherheit, die den Einsatz neuer Technologien in der Praxis verzögern können. Ein weiteres Problem ist die Akzeptanz der Technologie. Viele medizinische Fachkräfte sind skeptisch, was die Einführung erschwert. „Ohne das Vertrauen der Anwender wird diese Technologie nie vollständig in die Praxis integriert“, so Horsch. Ethikfragen wie die Verantwortung bei Komplikationen aus der Ferne und Datenschutz bleiben ungelöst. „Ich bin als Telechirurg nicht vor Ort, wenn Komplikationen wie eine Blutung auftreten“, erklärt Matthaei und sieht hier eine Herausforderung für die Patientensicherheit. Zudem müssen sensible Patientendaten vor unbefugtem Zugriff geschützt werden, um die Sicherheit und das Vertrauen in diese Technologie zu gewährleisten.

Ethische Richtlinien für Medizin

Das 5G-OR-Projekt soll bereits in den nächsten Jahren in der Praxis ankommen und bildet zugleich die Grundlage für zukünftige Entwicklungen. „Hypothetisch vorstellbar in Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten ist auch ein vollständig autonomer Operationssaal – eher bekannt aus Science-Fiction-Filmen“, so Matthaei. Der Direktor für klinische Robotik des Bonn Surgical Technology Center (BOSTER) - Kompetenzzentrum für digitale Chirurgie, welches sich auf die Entwicklung, Forschung und Schulung in Bereichen wie Robotik, KI und virtuellen Technologien konzentriert, betont, Deutschland müsse verstärkt einen Fokus auf die Förderung innovativer OP-Technologien legen. Die kontinuierliche digitale Transformation bietet enorme Chancen, die es durch gezielte Forschung und Entwicklung zu nutzen gilt. Es seien klare ethische Richtlinien sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen Medizin, Technik, Ethik und Politik und letztlich den PatientInnen unerlässlich, um die Möglichkeiten dieser Technologien künftig voll auszuschöpfen, die Risiken zu minimieren und damit hohe Patientensicherheit zu gewährleisten.

Das Forschungsprojekt 5G-OR

Das Projekt vereint acht Partner aus Medizin, Forschung und Industrie in Deutschland und Frankreich. Unter anderem sind das Fraunhofer IPA, die Hochschule Reutlingen, die Charité Berlin sowie das Institut Hospitalo-Universitaire (IHU) in Straßburg beteiligt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in Deutschland und das französische Ministerium für Wirtschaft, Finanzen und Wiederaufbau finanzieren das Projekt.

Teaserbild: Symbolische Darstellung einer Fernoperation: Entfernung einer Zyste an der Niere mit Schere und Zange. // Quelle: Klinikum Friedrichshafen, Lena Wohlgemuth

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