Der Klimawandel lässt die Zahl der Hitzetoten in Städten steigen – das ist das Ergebnis einer Untersuchung der Universität Bern. Vertikale Begrünungssysteme sollen für dieses Problem Abhilfe schaffen. Doch nicht jede Variante der Fassadenbegrünung hat denselben Nutzen. // Von Selina Stiegler und Daria Zietkowiak
Deutsche Großstädte sind dicht gebaut, weshalb sich die Hitze im Sommer anstauen kann. Aufgrund der Klimaänderung und der immer trockener werdenden Sommer leiden Menschen in Großstädten unter der enormen Hitze. Auch die Zahl von Hitzetoten in Ballungsgebieten steigt jährlich, wie eine Untersuchung der Gesundheitswissenschaftlerin Ana Maria Vicedo-Cabrera von der Universität Bern ergab. Dass Pflanzen Abhilfe schaffen könnten, ist nichts Neues, doch es gibt keinen Platz für sie, um zu wachsen und für Abkühlung zu sorgen.
Neue Methode für Fassadenbegrünung
Deshalb gibt es immer mehr Forschungen und Entwicklungen rund um vertikale Begrünungssysteme – Pflanzen, die an Gebäudefassaden emporwachsen sollen. Laut einer Handlungsempfehlung für Stadtplaner:innen der Universität Zürich können Fassadenbegrünungen im Außenbereich Großstädte kühlen und so das Klima in der Stadt und die Lebensqualität verbessern. Bisher findet häufig bodengebundene Fassadenbegrünung statt, beispielsweise mit Kletterpflanzen wie Efeu, die vom Boden an Gebäude entlang wachsen. Jannick Armenat ist Produktmanager bei dem Unternehmen Unika das Kalksandstein produziert. Für seine Masterarbeit forschte der Maschinenbauer an bodenungebundenen Begrünungssystemen. Da die Pflanzen direkt in der Wand ihre Wurzeln schlagen, wird diese Form auch wandgebunden genannt. In Armenats Forschung wurde unter anderem ein auf mineralischer Basis spezieller Pflanzstein entwickelt, der Wasser aufnimmt und wieder an die Pflanzen abgibt. So müssen die Pflanzen nicht direkt gegossen werden, sondern werden mithilfe einer im Stein integrierten Bewässerungsleitung mit Wasser versorgt. Was logisch und unkompliziert klingt, hat viele Tücken, aber auch viele Möglichkeiten.
IoT-basierende Regelungstechnik für Begrünungssysteme
Janick Armenat arbeitete für seine Masterarbeit mit dem Fraunhofer-Institut UMSICHT zusammen und entwickelte dort eine IoT-basierte Regelungstechnik für vertikale Begrünungssysteme im Außenbereich. Sein Ziel ist es, Fassadenbegrünung bodenungebunden zu gestalten und dabei besonders ressourcensparend zu sein.
Die dafür entwickelte Regelungstechnik betrifft die Wasserversorgung der Pflanzen die im mineralischen Pflanzstein wachsen. Der sich im IoT-System befindende Sensor misst regelmäßig die Bodenfeuchtigkeit und leitet die Feuchtigkeitswerte an einen Server weiter. Der wiederum führt auf dessen Basis einen Algorithmus durch. Der Algorithmus besteht aus verschiedenen Informationen wie Verdunstungsmengen, Verhalten der genutzten Wasserleitung und die Wechselwirkung zwischen Stein und Wasser. Die Steuerungstechnik wird durch den Server informiert, wann das Ventil zur Bewässerung geöffnet oder geschlossen werden soll. Die Kombination aus dem Algorithmus und den Bodenfeuchtigkeitsmessungen sollen die Pflanzen schonend versorgen.
Vorteile und Nachteile von IoT
Die Vorteile von IoT-basierender Regelungstechnik ist die hohe Effizienz der Arbeitsabläufe und die Kontrolle der automatischen Prozesse. Noch ist die Technologie nicht auf dem Markt. "Die bodenungebundene Fassadenbegrünung ist relativ neu und für viele zu kostspielig und zu wartungsintensiv", so Armenat. Die Akzeptanz solcher Systeme müsse noch weiterentwickelt werden, sagt er. Manche Expert:innen kritisieren nicht nur die fehlende Wirtschaftlichkeit bei vertikalen Begrünungssystemen dieser Art, sondern auch in Puncto Nachhaltigkeit gibt es für sie Verbesserungsbedarf. Regelungstechnik, die dauerhaft mit dem Internet verbunden ist, benötigt Energie. Schon länger wird darüber aufgeklärt, dass die Nutzung vom Internet in Deutschland jährlich genauso viel Kohlenstoffdioxid produziert wie der gesamte Flugverkehr. Ein flächendeckendes IoT-basierendes vertikales Begrünungssystem könnte die CO2-Produktion damit weiter ankurbeln.
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Thinklink: Allgemeine Vorteile und Nutzen vertikaler Gärten. // Quelle: TU Darmstadt Grafik: Daria Zietkowiak
Netzwerkanbindung – ein Hindernis
Markus Schraven ist Wissenschaftler am E.ON-Energieforschungszentrum in Aachen und spezialisiert auf IoT-basierte Gebäudeautomation. Schraven kennt die Vorteile und die Grenzen von IoT für die Regelungstechnik. Für Schraven ist häufig ein limitierender Faktor beim Einsatz solcher Technologien die Netzwerkanbindung, da sie abhängig von der Lage der Anlagen und der Netzwerkzugänglichkeit durch Betreiber:innen ist. "Da ist die IT-Sicherheit ein wichtiger Punkt, woran es beispielsweise scheitern kann", sagt er. Die Betreiber:innen müssten für den Datentransfer ihr Netz zur Verfügung stellen, was spezielle Anforderungen und Kosten mit sich bringt. Das viel größere Problem sieht Schraven allerdings in der grundsätzlichen Bemessung des Mehrwerts und der Bereitschaft für so ein System zu bezahlen. "Wie viel der positiven Anteile von Fassadenbegrünung fällt am Ende tatsächlich auf die Vernetzung über das IoT zurück?", überlegt Schraven.
Faktor Lebensqualität im Fokus
Jannick Armenat ist sich den Herausforderungen bewusst und entwickelt an seiner Technologie immer weiter. "Wenn man das Ganze weiterdenkt, dann kann das System mit einer Regenwasserbewirtschaftung gekoppelt werden, sodass es noch ressourcenschonender betrieben werden kann", so Armenat. Zusätzlich schafft jegliche Fassadenbegrünung Lebensqualität und die Zahl der Hitzetoten könnte sich verringern. Der Bundesverband GebäudeGrün e.V. betreibt dahingehend Öffentlichkeitsarbeit und klärt über die Möglichkeiten auf, Gebäudebegrünung zu betreiben, die heute schon möglich sind. Als Beispiel führt der Verband die Begrünung von Dächern oder bodengebundene Fassadenbegrünung im Außenbereich an, um einen Kühlungseffekt in Städten zu bewirken.
Teaserbild: Zukunfts-Vision von Stadt mit Fassadenbegrünung. //Bild: Daria Zietkowiak