Foodsharing oder zum Beispiel die App "Too good to go" versuchen in Deutschland, die Zahl von fast 13 Millionen Tonnen verschwendeten Lebensmitteln pro Jahr zu senken. Beim Lebensmittelretten gibt es jedoch einige Schwierigkeiten. Gegen die fehlende Rechtssicherheit versucht Foodsharing jetzt mithilfe einer Petition vorzugehen. //Von Berinike Schmitt
Corona hat einen großen Einfluss auf fast alle Lebensbereiche. Durch die hohen Hygieneschutzmaßnahmen wird zurzeit besonders viel Müll produziert. Auch vor der Lebensmittelindustrie machen die Auswirkungen der Pandemie nicht Halt. Die vielen Lebensmittel, die täglich vor der Tonne gerettet wurden, können jetzt oft nicht vor der Mülltonne bewahrt werden. Das liegt vor allem an der fehlenden rechtlichen Sicherheit beim Verteilen von ausgemustertem Essen. In der Zeit von Corona ist das ein noch viel größeres Problem. Aufgrund der Gefahr von einer Infektion hatten oder haben viele "Fairteiler", die Orte, an denen gerettete Früchte, Salate und Milchprodukte angeboten werden, geschlossen. Aber auch abseits der aktuellen Lage ist das Retten von Lebensmitteln in Deutschland schwierig. Wenn hier ein Laden Produkte, die über dem Ablaufdatum sind, kostenlos abgibt, dann haftet er für gesundheitsschädliche Folgen. Ebenso haftbar sind die Menschen, die Lebensmittel retten und an andere verteilen. Aber damit soll nun Schluss sein.
Petition an Julia Klöckner
Die Initiative Foodsharing startete am 8. April gemeinsam mit der deutschen Umwelthilfe eine Petition. Diese fordert Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, und alle anderen zuständigen Ministerien auf, sich für sofortige Rechtssicherheit von Foodsavern einzusetzen und das Retten von Lebensmitteln zu vereinfachen. Ziel ist es, wie zum Beispiel in Italien Spender und weitergebende Organisationen größtenteils von der Haftung zu befreien. In Italien bekommen Händler und Gastronomen außerdem einen steuerlichen Vorteil. Dies ist das angestrebte Ziel der Petition, die mit 75.000 Unterschriften beendet werden soll.
Foodsharer
Foodsharing ist eine Initiative, die Lebensmittel vor der Mülltonne bewahrt. Jeder hat die Möglichkeit, ehrenamtlich mitzuwirken und Essen zu retten. Sobald die Registrierung auf foodsharing.de abgeschlossen ist, kann es losgehen. Foodsharer können dann über die Internetseite sogenannte Essenskörbe, also Lebensmittel, die nicht mehr gebraucht werden, mit anderen Foodsharern teilen und abholen. Außerdem gibt es auch sogenannte Fairteiler, die als Lebensmittelverteiler dienen. Das können Regale, Kühlschränke oder Truhen sein, die zum Beispiel in Gemeindezentren oder auch an durchgehend zugänglichen Orten stehen. Dort kann dann das von anderen abgegebene Essen kostenlos mitgenommen werden.
Foodsaver werden
Um ein Foodsaver zu werden, der Lebensmittel direkt bei Betrieben rettet, muss schon etwas mehr gemacht werden. Durch ein Quiz soll die Eignung als Foodsaver herausgefunden werden. Vor Antritt des Tests müssen die Informationen auf der Internetseite "Lebensmittel-retten-Wiki“ verinnerlicht werden. Nach bestandenem Test sind drei betreute Lebensmittelabholungen zu absolvieren.
Laut Youtuberin und ehemaliger Foodsaverin LIA kann es manchmal Monate dauern, bis diese Probeabholungen erledigt werden können. Es meldeten sich für eine Probeabholungen mehr Interessenten, als mitgenommen werden können, sodass es zu sehr langen Wartezeiten kommen kann. Es gäbe zu wenige Betriebsverantwortliche, die solche betreuten Abholungen leiten. Betriebsverantwortliche sind für die Kooperation mit einem Betrieb zuständig und Ansprechpartner für Betrieb und Foodsaver. Viele potenzielle Foodsaver, die lange auf ihre Probeabholungen warten müssten, verlören dann das Interesse. Trotz allem gibt es bereits über 77.000 ehrenamtliche Foodsaver.
Wohin mit den geretteten Lebensmitteln?
Weitere Probleme treten beim Lebensmittelretten selbst auf. Die Youtuberin erklärt, dass oft erwartet wird, dass mindestens zweimal pro Woche in einem Betrieb Lebensmittel abgeholt werden. Das Problem dabei sei, dass alle Orte, zu denen die Lebensmittel gebracht werden könnten, dann meistens schon überfüllt oder geschlossen seien. Wenn Flüchtlings-, Obdachlosen- oder Altenheime und Fairteiler keine Option sind, müssen andere Wege gefunden werden, große Mengen Essen unterzubringen. Aus Hygienegründen wird den Foodsavern davon abgeraten, die Sachen direkt an Obdachlose zu verteilen.
Viele Lebensmittel müssen gekühlt werden und die wenigsten haben in der eigenen Wohnung genug Platz dafür. Wohin also mit Bananen, Joghurt und Gemüse? Weil die Lebensmittel erst sehr spät bei den Betrieben abgeholt werden können, gibt es wenig bis keine Alternativen. Leo Dünninger, Foodsharing-Mitarbeiter aus München, sieht das Problem nicht: In der Regel könne doch alles verteilt werden, weil die Foodsaver engagiert und gut vernetzt seien. Die Philosophie hinter Foodsaving sei es, Lebensmittel an alle zu verteilen und nicht nur so viel zu retten, dass der eigene Bedarf gedeckt ist.
Foodsaving zu später Stunde
Die Uhrzeit ist auch aus einem ganz anderen Grund ein Problem. LIA zum Beispiel berichtet von ihren Abholungen bei einem Backshop. Bei solchen Läden wird nach Ladenschluss, also 22 Uhr, abgeholt. Abgesehen davon, dass sich in der Regel zu wenige für die Abholung meldeten, hätte sie allein zu später Stunde mit aufdringlichen Fremden zu kämpfen. Nachdem die ehemalige Foodsaverin in einer Woche bei drei Abholungen auf dem Weg belästigt wurde, meldete sie sich für keine weitere mehr.
Bewusster Konsumieren
Foodsharing ist eine Möglichkeit, Lebensmittel vor dem Abfall zu bewahren, jedoch reicht das allein nicht. In unserer Gesellschaft wird erwartet, dass es in einer Bäckerei bis kurz vor Ladenschluss noch eine große Auswahl an Backwaren gibt. Das führt allerdings zu Mengen an übrig gebliebenen Backwaren, die dann überwiegend in der Tonne landen. Die Menschen müssten begreifen, dass sich ihr Konsumverhalten verändern muss, betonen LIA und Leo Dünninger. Dünninger erläutert, wie der Konsument sich am besten verhalten sollte: Wichtig sei vor allem nur so viel zu kaufen, wie wirklich gebraucht wird. Schönheitsfehler bei Obst und Gemüse zu akzeptieren und zu lernen, wie lange Lebensmittel wirklich haltbar sind, sei ebenso wichtig. Am besten sei es, nach Möglichkeit saisonal einzukaufen. Wer also keine Zeit hat, sich bei Foodsharing oder ähnlichem zu engagieren, der kann einfach anfangen, bewusster zu konsumieren.
Teaserbild: Lebensmittelretten ist eine gute Sache, benötigt aber mehr Rechtssicherheit. //Quelle: Schmitt