Schüler demonstrieren auch in den Ferien für den Klimaschutz. Technikjournal ist der Frage nachgegangen, ob die Forderungen umsetzbar sind und hat an einer Demonstration teilgenommen. // Von Elif Bulut und Abena Uthayakumar
"Von Kindern und Jugendlichen kann man aber nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen. Das ist eine Sache für Profis", sagte Christian Lindner der "Bild am Sonntag". Kritik an den Forderungen der Fridays for Future-Bewegung wie die vom Bundesvorsitzenden der FDP gibt es häufiger. Politiker unterstellen den jungen Klimademonstranten mangelnde Sachkenntnis und kritisieren die unrealistischen Forderungen. Entwickelt wurden die Forderungen jedoch von Forschungsinstitutionen und Forschern. Die Ausarbeitung wurde in einem Forderungskatalog aufgelistet und veröffentlicht. Sind diese überhaupt technisch machbar und ökonomisch zu vertreten?
Forderung 1: Treibhausgasemissionen auf Nettonull
Nettonull: Es wird nur die Menge Treibhausgase ausgestoßen, die durch natürliche Prozesse (z. B. Wachstum von Pflanzen) wieder aufgenommen wird.
Auf der Pariser Klimaschutzkonferenz (COP21) im Dezember 2015 haben sich 195 Länder erstmals auf ein allgemeines, rechtsverbindliches weltweites Klimaschutzabkommen geeinigt. Diese Staaten setzen sich unter anderem das globale Ziel, die Erderwärmung auf "deutlich unter" zwei Grad Celsius zu begrenzen, mit Anstrengungen für eine Beschränkung auf 1,5 Grad Celsius. Einer aktuellen Studie (03/2019) des NewClimate Institute zufolge wird Deutschland das Klimaabkommen nicht einhalten können. Wissenschaftler der Climate Service Center Germany (GERICS) untersuchen jedoch in einer Pilotstudie, wie man die Nettonull der Treibhausgasemissionen in Deutschland erreichen kann. Die Arbeiten dazu werden nach der Sommerpause beginnen.
"Die Netto-Null bis 2050 scheint machbar zu sein, bis 2035 halte ich für sehr wenig realistisch", sagt Professorin Daniela Jacob, Institutionsleiterin und Forscherin der Studie gegenüber Technikjournal. Gelingen kann das aus Sicht vom BUND durch eine drastische Verringerung des Energieverbrauchs, 100 Prozent erneuerbare Energien und einen grundlegenden Umbau des Verkehrssektors, des Gebäudebereichs, der Industrie und der Landwirtschaft.
Nun ist zu betrachten, welche Bereiche die Hauptemittenten und welche Maßnahmen von Bedeutung sind. Laut den Langfristszenarien des Fraunhaufer Instituts ISI (2050) ist einer der Hauptemittententen die Energiewirtschaft. Das Ziel könnte erreicht werden, wenn dieser Sektor auf komplett erneuerbare Energien umstellt und entsprechende Kraftwerke abschaltet. Um Emissionen im Verkehr zu senken, wird eine CO2-Steuer auf alle Treibhausgasemissionen gefordert. Laut des Umweltbundesamtes soll der Betrag bei 180 Euro pro Tonne CO2 liegen.
In den Langfristzenarien des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) ist zu sehen, dass bis 2030/2035 die Reduktion in der Industrie mit den Technologien, die jetzt schon angewendet werden, erreichbar ist. "Ab 2040 müssen jedoch relativ aufwendige Technologien, wie CCS (Carbon Copy Storage = CO2-Abscheidung und -Speicherung), herangezogen werden," so Martin Pudlik, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im "Competence Center Energiepolitik und Energiemärke" am Fraunhofer Institut ISI. Diese würden etwa 80 bis 130 Euro pro Tonne Kohlenstoffdioxid an Mehrkosten verursachen. Pudlik ergänzt: "Wenn man dies auf den heutigen Strommix beziehen würde, wären das etwa sechs Cent pro Kilowattstunde, was einer Verdopplung der derzeitigen Strombörsenkosten entspricht."
Kohlausstieg bis 2030
Forderung 2: Klare Deadlines
Deutschland ist der größte Treibhausgasemittent der EU und müsste den Kohleausstieg bis 2030 vollenden, um seinen Beitrag zur Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens zu leisten und selbst das Netto-Null-Ziel bis 2035 zu erreichen. Aus der jüngsten Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur geht hervor, dass es in Deutschland 148 aktive Kraftwerke gibt, deren größter Energieträger Braun- oder Steinkohle ist. Hieraus wird auch 35 Prozent des deutschen Stroms erzeugt. Ende Januar traf die Kohlekommission in Berlin eine Entscheidung: "Deutschland soll bis Ende 2038 keinen Strom mehr aus Kohle erzeugen." Die Nettoleistung der Kohlekraftwerke betrug Ende 2017 eine Leistung von 42,6 Gigawatt pro Tag. Wie groß die Leistung der bestehenden Kohlekraftwerke von 42,6 Gigawatt ist, lässt sich mithilfe des folgenden Vergleichs verstehen: An normalen Tagen braucht Deutschland eine Stromkapazität von insgesamt 65 bis 70 Gigawatt. Im Winter kann der Bedarf schon mal auf mehr als 80 Gigawatt steigen. Schrittweise soll diese Zahl nach einem Stufenplan stark gesenkt werden. Strom aus erneuerbaren Energien, wie Wind, Sonne und Wasserkraft, stehen demnach bei der Stromerzeugung auf der Liste.
Kohleausstieg früher machbar?
Laut einer aktuellen Studie der Naturschutzorganisation WWF (World Wildlife Fund) ist ein Kohleausstieg sogar bis Ende 2025 technisch und ökonomisch machbar. Dieselbe Studie besagt auch, dass der aktuell im Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) vorgeschriebene Ausbau zur Erreichung der Klimaziele nicht ausreicht. "Wir müssen im Durchschnitt jedes Jahr mindestens fünf Gigawatt Windkraft an Land und fünf Gigawatt Photovoltaik bauen", sagt Frank Peter, einer der Autoren der Studie. Würden – wie im EEG geplant – nur rund zwei bis drei Gigawatt zugebaut, müsste der fehlende Strom mit Erdgas erzeugt werden. Und dann würden die Klimaziele verfehlt, so ein weiteres Ergebnis der Studie. "Der hier dargestellte Weg ist für die betroffenen Regionen, die Unternehmen und das Stromsystem sehr ambitioniert, aber machbar", erklärt Frank Peter weiter. Der Studie zufolge ergeben sich folgende Eckpunkte für die Instrumentierung der Kohle-Auslaufstrategie für Deutschland:
- Das feste Datum für die Beendigung der deutschen Kohleverstromung bis 2035 bedarf einer ordnungsrechtlichen Festlegung.
- Die grundsätzliche Begrenzung der Anlagenlaufzeit auf maximal 30 Jahre kann ordnungsrechtlich oder über vertragliche Regelungen umgesetzt werden.
- Schließlich sollte der Rückbau und die Renaturierung von Tagebauflächen finanziell unter strikter Beteiligung der Verursacher abgesichert werden.
NRW-Wirtschaftsmininster Andreas Pinkwart (FDP) hingegen hält ein Kohleausstieg bis 2030 für nicht machbar, aber bis 2035 könne Deutschland es noch schaffen. Dies teilte er in einem WDR-Interview am 25. Juni (2019) mit. Zur Realisierung sollen erst einmal die Erneuerbaren Energien in Deutschland in einem Umfang aufgebaut werden, der es erlaube, neben Kernenergie auch die Stein-und Braunkohle ersetzen zu können. Pinkwart ergänzt: "Und von der ist die Hälfte der Energieversorgung in unserem Land abhängig." Der Ausbau der Speicherkapazität sei auch ein sehr wichtiges Thema, so Pinkwart.
Forderung 3: Erneuerbare Energien
Bereits vor sieben Jahren veröffentlichte das Fraunhofer Institut ISE eine Alternative zur Stromerzeugung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien. Demzufolge könnten Wind, Sonne, Biomasse und Wasser in Strom umgewandelt und somit die Versorgung nachhaltig sichergestellt werden. Logischerweise ist die Stromproduktion aus Sonne und Wind schlecht planbar und schwankend. Aus diesem Grund sind die Speichersysteme relativ wichtig. Pumpspeicher-Kraftwerke und Batterien sollen als Stromspeicher dienen. Aber auch Wärmespeicher mit Wasser als Speichermedium kommen zum Einsatz. Eine weitere Alternative zur Speicherung ist die Methan-Umwandlung in Power-to-Gas-Anlagen. "Durch einen massiven Ausbau erneuerbarer Energien, vorzugsweise Solar- und Windkraft in Kombination mit Speichern ist dies technisch problemlos möglich", so Volker Quaschning, Ingenieurwissenschaftler und Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Berlin.
Martin Pudlik, der ebenfalls Professor für Regenerative Energiewirtschaft an der Technischen Hochschule Bingen ist, gab Technikjournal folgendes schriftliches Statement ab: "Es sollte ein hohes Bestreben sein, das Thema wissenschaftlich, technologisch und gesellschaftlich möglichst konstruktiv anzugehen. Die Aufforderung der Jugendlichen halte ich für berechtigt und sie hilft ungemein das Thema in die Wahrnehmung zu tragen. Die Europawahl hat auch gezeigt, dass der Einsatz Wirkung zeigt."
Teaserbild: Fridays for Future-Demo im Bonner Hofgarten, Quelle: Abena Uthayakumar und Elif Bulut
Links zu Technikjournal-Artikel zu dem Thema:
Busse auf dem Weg zur Nullemission
Moderne Kraftwerke im Virenscan