Die Vision einer vollendeten Kreislaufwirtschaft

Eine müllfreie Welt ohne Verzicht auf Konsum, ist das machbar? Biologisch vollständig abbaubare Kleidung, ressorcenschonende technische Geräte, und Gebäude, die wie Bäume funktionieren - das Cradle-to-Cradle-Prinzip soll das möglich machen, sagt der deutsche Chemiker Michael Braungart. //Von Jana Hüttenmeister

Vom 31. Januar bis 1. Februar trafen sich die Anhänger der Cradle-to-Cradle (C2C)-Community in Berlin. Dort fand der internationale Cradle-to-Cradle-Kongress statt. Dabei ging es darum, Herausforderungen, Innovationen und Praxisbeispiele für eine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft nach den Cradle-to-Cradle-Standards vorzustellen. Politiker, Wissenschaftler und Verantwortliche des Bildungsbereichs und der Wirtschaft hielten Vorträge und Workshops zu den Fortschritten, Herausforderungen und Chancen der Bewegung. Dieses Jahr standen besonders die Themen Landwirtschaft, kreislauffähige Verpackungen und Supply-Chain im Vordergrund. Supply-Chain bedeutet die Zulieferungskette von Produkten nachvollziebar und transparent zu gestalten. Aber auch über Bau und Architektur, Textil, Printing und Digitalisierung wurde gesprochen.

Schon seit rund 20 Jahren gibt es das C2C-Konzept. Vor allem Länder mit wenigen Ressourcenvorkommen wie Dänemark und Holland stellen ihre Produktionsweisen immer mehr auf die Prinzip des Konzeptes um.

Technischer und biologischer Kreislauf

Cradle-to-Cradle beschreibt zwei Kreisläufe: Den technischen und den biologischen. Verbrauch- und Verschleißgüter, wie zum Beispiel Shampoo oder Kleidung, sollten nach dem Gebrauch wieder als so genannte "Nährstoffe" in einen biologischen Kreislauf gebracht werden. Güter, die nicht biologisch abbaubar sind, sollen in einem technischen Kreislauf ohne Verluste zu neuen Gütern weiterverarbeitet werden. "Um Cradle-to-Cradle wirklich zu realisieren muss man ganz vorne anfangen. Das Design und die Materialien müssen darauf ausgelegt sein, dass keine Schadstoffe oder Müll an falscher Stelle entstehen", erklärt Julia Eckert, Mitglied und Wissensbeauftragte der deutschen "Cradle-to-Cradle NGO".  Die Nichtregierungsorganisation besteht aus ehrenamtlichen Aktiven, die sich für das Prinzip einsetzt.

Die Dinge neu erfinden

Der Begründer von Cradle-to-Cradle Michael Braungart hat sich die Frage gestellt: "Wie können Emissionen beim Verbrauch für neue Dinge eingesetzt werden?" Das Ziel Braungarts lautet: Den Nutzen maximieren und Emissionen als positiven Effekt betrachten. Während der Produktion und des Konsums sollten also kein Abfall oder schädliche Emissionen entstehen, sondern Stoffe, die positive Effekte auf die Umwelt haben. Der Chemiker nennt das Ökoeffektivität. Sein Vorbild sei dabei die Natur, erklärt er bei seinem Vortrag auf dem Kongress 2018. Ein Kirschbaum sei keineswegs neutral, aber effektiv. Alle Emissionen dieser Pflanze bringen einen weiteren Nutzen für die Natur. So sollten zukünftige Produkte hergestellt und verbraucht werden. Aber ist das überhaupt umsetzbar?

Designkonzept und Denkschule Cradle-to-Cradle

Um das Konzept zu realisieren gibt es zwei Grundpfeiler. Das Designkonzept und die Denkschule. Hinter dem Designkonzept steht das Kernprinzip "Alles ist Nahrung: Es gibt keinen Müll." Alle verwendeten Materialien müssen in einen Kreislauf zurückgeführt werden und können an anderer Stelle wieder nützlich sein. Die Denkschule beschreibt die Haltung des Menschen im C2C-Kosmos. Der Mensch soll als Nützling, nicht als Schädling angesehen werden. Es geht darum, wie ein positiver Fußabdruck maximiert und einen negativer minimiert werden kann.

Verbrauchen oder gebrauchen

Es sollte dabei zwei Arten von Gütern geben. Einerseits die Verbrauchsgüter, deren sichere Entsorgung in die Umwelt jederzeit gewährleistet sein muss, auch die Verpackungen müssen vollständig biologisch abbaubar sein. Andererseits die Gebrauchsgüter, die meistens technische Produkte aus verschiedenen Stoffen sind. Zum Beispiel Autos, sämtliche technische Geräte oder Bodenbeläge. Diese Güter gelangen nach der Nutzungsphase wieder in den technischen Kreislauf. Abnutzungen und Emissionen, die während des Nutzungsprozesses entstehen, müssen biologisch abbaubar sein.

Ein etwas anderes Businesskonzept

Es sollen nicht die Produkte, sondern die Dienstleistung bezahlt werden. Für Gebrauchsgüter müssen laut Braungart nur noch die Dienstleistungen vergütet werden. Anstatt eine Waschmaschine als Objekt zu kaufen, bezahlt der Konsument beispielsweise die Anzahl der Waschgänge; anstelle des Autos, die benötigten Kilometer. Am Ende der Nutzungsphase ist der Hersteller nämlich auch für die Weiterverwertung verantwortlich. Damit das Unternehmen davon profitieren kann, ist es für den Hersteller von Vorteil, alle Bestandteile dieses Produkts zu kennen und hochwertige, recycelbare Materialien zu verwenden. So sind ein vollständig technischer Kreislauf und ein profitables Businesskonzept gewährleistet.

Cradle-to-Cradle Zertifikat

Das Cradle-to-Cradle-Zertifikat wird den Firmen verliehen, die nach Cradle-to-Cradle-Standards produzieren. Geprüft wird vor allem, wie unschädlich die verwendeten Materialien sind und wie viele Stoffe wiederverwertet werden. Außerdem gehört der Einsatz von erneuerbaren Energieformen und der verantwortungsvolle Umgang mit Wasser zu den Kernprinzipien. Um das Zertifikat zu erwerben, müssen die Arbeitsbedingungen des Unternehmens bestimmte Standards erfüllen. Die vier Bewertungskategorien Basis, Silber, Gold und Platin zeigen dem Verbraucher inwieweit die Produkte Cradle-to-Cradle-gerecht hergestellt sind. Vor allem Verbrauchsprodukte wie Kleidung, Trinkflaschen, Bettwäsche oder Wandfarben gibt es schon Cradle-to-Cradle-zertifiziert. Bei kompliziert aufgebauten, oft technischen Produkten gibt es noch Schwierigkeiten, diese Standards zu realisieren.

Cradle-to-Cradle Lab

Das Cradle-to-Cradle-Lab in Berlin zeigt, was möglich ist. Hier wurde zum ersten Mal eine Bestandssanierung nach Cradle-to-Cradle-Kriterien durchgeführt. Es wird zum Forschungs- und für Bildungszwecke genutzt. Die Mitglieder der Community in Berlin nutzen das Lab außerdem zur Kommunikation und als Demonstration dafür, dass die Konzepte auch in der Praxis funktionieren. Gemeinsam mit verschiedenen Sanierungs- und Ausstattungspartnern entstehen im sogenannten Reallabor des C2C-Labs begrünte Wände, Teppiche, die Schadstoffe in der Luft binden, Büromöbel und Küchengeräte, die während und nach dem Gebrauch keine negativen Effekte auf die Umwelt haben. Alle verwendeten Materialien können entweder in einen biologischen oder technischen Kreislauf zurückgeführt werden. Jedes kleinste Detail im C2C-Lab muss durchdacht sein. Von der Wandfarbe über Fenster, die Steckdosen und den Geschirrspüler bis hin zu Verbrauchsgütern, wie Kaffee oder Spülmittel. "Mit unserem Cradle-to-Cradle-Lab haben wir im vergangenen Jahr sehr viel geschafft. Das ist in dem Kontext nachhaltiges Bauen und nachhaltige Sanierung ein Fortschritt, den es in der Form noch nicht gab", so Eckert.

Verluste sind nicht auszuschließen

Eine ganzheitliche Integration von Cradle-to-Cradle ist schwierig. Vor allem für einige technische Produkte sei das aus physikalischer Sicht unmöglich, erklärt Joachim Schmidt, Leiter der Fit Umwelttechnik GmbH und Professor für Automobilrecycling und Elektro-, Elektronikrecycling an der Ostfalia Hoschschule. "Ich forsche nun schon seit 20 Jahren im Bereich der nachhaltigen Produktanalyse und schätze eine komplette Umstellung zu Cradle-to-Cradle als unrealistisch ein." Der Experte für nachhaltige Produktentwicklung möchte ebenfalls Produkte und Designkonzepte herstellen, die einen positiven Effekt auf die Umwelt haben. Aber bei Vielstoffprodukten, wie Autos oder Geräten mit kleinteiliger Technik, zum Beispiel Smartphones und Laptops oder Tablets, sei ein komplettes Recycling nicht möglich. "Die Anforderungen an alltägliche Produkte sind viel zu hoch. Es sind zu viele Werkstoffe verbaut, für die es keine richtigen Recyclingoptionen gibt. Zudem verschleißen und verunreinigen die Materialien während des Gebrauchs. Für viele Produkte wird es niemals ein 100 prozentiges Recycling geben."

C2C - Zu schön um wahr zu sein

"Wir streben da einen Grenzwert an", sagt Schmidt und ergänzt, dass das Konzept ein Nischenprodukt bleibe, da im technischen Kreislauf immer ein Downcycling stattfinde. Das heißt, dass die Qualität der Materialien während der Weiterverarbeitung verschlechtert und nicht mehr in die Ausgangsform gebracht werden kann. Es gehen Stoffe verloren, der technische Kreislauf ist somit nicht vollständig geschlossen. Und das entspreche nicht mehr dem C2C-Konzept, so Schmidt. Zudem hänge auch nicht alles an der Technik und Forschung. Das Konsumverhalten der Menschen müsse sich ändern. Wenn das nicht passiere, dann bringe das beste Recyclingsystem nichts.

Ein großer Plan braucht viele kleine Schritte

"Wir glauben, dass wir in vielen kleinen Schritten wirklich etwas bewirken können", so Julia Eckert. Von der Produktion über Vertrieb und Verbrauch bis hin zur Wiederverwertung, jeder Schritt muss von den Kernprinzipien des C2C-Konzepts geprägt sein. Alle Beteiligten sollten ökoeffizient und umweltbewusst handeln. Um das zu erreichen, braucht es vor allem Kommunikation und Transparenz. Über die Produktionsweise, die Lieferketten und die Verwendung eines Produkts müsse intensiv aufgeklärt werden. Alles sollte neu durchdacht und detailliert geplant sein. Mit dem Kongress in Berlin möchten die NGO-Mitglieder möglichst viele Menschen dafür sensibilisieren und motivieren, auch nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip zu handeln.

Teaserbild: Eine vollendete Kreislauifwirtschaft als Ideal. Quelle: Jana Hüttenmeister, Quelle der Symbole: Google Bilder

Die Autorin

Jana Hüttenmeister

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