Moderne Kraftwerke im Virenscan

2018 stieg der Anteil erneuerbarer Energien an der gesamten deutschen Produktion erstmals auf über 40 Prozent. Der Zusammenschluss kleiner Bio-Strom-Produzenten zu virtuellen Kraftwerken fördert diesen Anstieg. Doch die digitale Vernetzung von Energieträgern birgt auch Gefahren.// Von Rafael Rabe

*Mausklick.Enter* Plötzlich geht das Licht aus. Reifen quietschen, Unfälle, Verkehrschaos. Alle Ampeln sind ausgefallen. Viele Heizungen funktionieren nicht. Kein Strom fließt. Wasser und Brot bei Kerzenlicht? Und das alles an Weihnachten?

Das Horrorszenario in Form einer Cyber-Attacke auf Stromversorger klingt wie ein Albtraum. Bereits 2015 mussten das knapp eine Viertel Millionen Ukrainer am eigenem Leib erleben. Und das könnte in Zukunft kein Einzelfall mehr sein.

Kleine Produzenten von erneuerbaren Energien wie Wind- und Sonnenkraftwerke schließen sich immer öfter sogenannten virtuellen Kraftwerken an. Nicht zuletzt dadurch setzen sich die erneuerbaren Energien mehr und mehr gegen fossile Energiequellen durch. Die Digitalisierung von Kraftwerken vereinfacht Produktion und Vertrieb von Strom, bietet aber auch große Angriffsflächen für Cyberattacken.

Was sind virtuelle Kraftwerke?

Die Idee Wind-, Sonnen- und Wasserkraft, also unerschöpfliche Quellen, als Energieträger zu nutzen, gibt es schon lange. Doch genauso lange bereiten naturbedingte Schwankungen Probleme bei der Umsetzung. Was passiert mit den Stromanlagen, wenn besonders wenig Wind, Sonne oder Bewegung im Wasser herrscht? Eine Lösung ist die Speicherung von Strom durch beispielsweise Umwandlung der Energie in Wasserstoff oder Pumpspeicherkraftwerke. Dabei wird die elektrische Energie mithilfe einer Pumpe zu potenzieller Energie umgewandelt.

Seit einiger Zeit stellen virtuelle Kraftwerke eine Lösung für das Dunkelflautenproblem der erneuerbaren Energien dar. Diese Kraftwerke existieren nur digital, erzeugen jedoch realen Strom. Dank ständiger Prognosen an den Produktionsstandorten kann mit virtuellen Kraftwerken planbare Energie entstehen. Diese planbare Energie nennt man Regelenergie. Schwankungen sind schon im Voraus bekannt und können entgegengewirkt werden. Über Fernsteuerung können die Energieanlagen aus- und eingeschaltet, sowie stufenweise hoch- und runtergefahren werden. Sollte also eine Sonnenflaute an einer Photovoltaik-Anlage herrschen, fährt das virtuelle Kraftwerk automatisch seine Kapazitäten hoch und versucht möglichst viel Strom zu produzieren. Sollte dennoch nicht ausreichend Energie entstehen, hilft beispielsweise eine nahegelegene Biogasanlage aus, die gerade einen Stromüberschuss generiert.

Bio-Energie-Quellen sollen dank virtuellen Kraftwerken weiteren Fortschritt erleben. Quelle: Rafael Rabe

Sind virtuelle Kraftwerke gefährdet?

Bei virtuellen Kraftwerken spielt Digitalisierung eine große Rolle. Wie steht es also um die Sicherheit virtueller Kraftwerke? "Nach Erkenntnissen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) richten sich seit mehreren Jahren Cyberangriffskampagnen" gegen Unternehmen der Energieversorgung, erklärt das BfV auf Nachfrage von technikjournal. "Die dabei verwendeten Methoden sind sehr unterschiedlich und reichen von der Verbreitung von Schadsoftware über gefälschte Webseiten bis hin zu Brute-Force-Angriffen auf Infrastrukturkomponenten."

Dass Hacker vor Energieproduzenten keinen Halt machen, zeigte im Jahr 2018 zum einen eine kurze Cyberattacke auf die Internetseite von RWE. Dadurch brach der Internetauftritt des Konzerns am 24. September teilweise vollständig zusammen. Polizei und RWE konnten den Vorfall nicht aufklären. Die Hacker versuchten nicht auf die Betriebsserver oder an Kundendaten zu gelangen. Dennoch zeigt die Attacke, mit welcher Leichtigkeit Hacker ungestraft einen der größten Energiekonzerne Europas beeinträchtgen können. Zum anderen warnte das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bereits im Juni 2018 vor vermehrten Angriffen auf Energieversorger. Das Amt teilte mit, dass "deutsche Unternehmen aus der Energiewirtschaftsbranche Ziel einer großangelegten weltweiten Cyber-Angriffskampagne" sind. In einigen Fällen sei es bereits zu illegalen Zugriffen auf Büro-Netzwerke von Stromerzeugern gekommen. Und da virtuelle Kraftwerke vollständig digitalisiert sind, bringen sie ein vermeintlich höheres Risiko mit. als weniger digitalisierte Kraftwerke mit fossilen Energieträgern.

Kraftwerke im Ausland

In anderen Ländern waren solche Cyber-Attacken bereits folgeträchtig. Am 23. Dezember 2015 hackten Unbekannte zeitgleich über Monate drei große ukrainische Stromversorger und legten anschließend ihr Netzwerk lahm. Für mehrere Stunden fiel der Strom bei etwa 225.000 Kunden aus. Der Fall ist als erstes durch Hacking-bedingtes Blackout bekannt geworden, wie solche Totalausfälle heißen.

Cyber-Attacken auf virtuelle Kraftwerke können wie 2015 in der Ukraine ganze Städte ausschalten. Quelle: https://pixabay.com/

Gesetzliche Lage zum Schutz virtueller Kraftwerke

"Wegen ihrer besonderen Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie" müsse in Deutschland die Sicherheit von Kraftwerken gewährleistet sein, fasst das BSI zusammen. Alle systemrelevanten Energie-Erzeuger, müssen sich einer Zertifizierung des Informationssicherheitmanagementsystems (ISMS) unterziehen. Das bestimmt die Kritische Infrastrukturenverordnung (KRITIS) des BSI. Das bedeutet, alle virtuellen Kraftwerke, die 420 Megawatt oder mehr Strom erzeugen, müssen sich einer externen Prüfung durch den TÜV unterziehen. Bestehen sie diese nicht, entscheidet das BSI über ihre Zukunft.

Was bedeuten die Kontrollen für virtuelle Kraftwerke?

Das größte und eines der ersten virtuellen Kraftwerke Deutschlands sind die Next-Kraftwerke aus Köln. 2009 gegründet, erlebt das Unternehmen einen schnellen Aufstieg und verbindet mittlerweile über 6500 Bio-Anlagen. Ein Angriff auf die Next-Kraftwerke kann ein großes Ausmaß annehmen, zumal das Kölner Unternehmen sein Leitsystem und die Algorithmen des virtuellen Kraftwerks global anbietet. Bei einem Angriff sind also international Kraftwerke gefährdet. Für die TÜV-Kontrollen rüstete Next in den vergangenen Jahren auf. "Unsere Sicherheitsvorkehrungen beginnen bei Zutrittskontrollen, Besucherausweisen, geschlossenen Türen, Nicht-Lüften der Räume und Zutritt zu den Serverräumen", sagt Unternehmenssprecher Jan Aengenvoort. Die Next-Kraftwerke gehen noch weiter. Sie haben ihre Server gleich an mehrere Standorte verteilt, um weniger anfällig zu sein. Darüber hinaus sind die Daten jeder einzelnen Schnittstelle des Kraftwerks, also der Energiequellen, verschlüsselt.

Die ISMS-Zertifizierung muss ähnlich der Abgasuntersuchung eines Autos alle zwei Jahre erneuert werden. Das bedeutet, dass die Sicherheitssysteme der systemrelevanten Kraftwerke in Deutschland immer auf dem neuesten Stand sein müssen. Zudem sind die Meldestrukturen der Betriebe ein wichtiger Bestandteil der ISMS-Kontrolle. Kraftwerke müssen Cyber-Auffälligkeiten jeder Art registrieren und dem BSI melden. "Eine absolute Sicherheit gibt es nie", erklärt Jan Aengenvoort. "Als Unternehmen können wir nur versuchen, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten."

Welchen Vorteil haben Verbaucher von virtuellen Kraftwerken?

Gegen konventionelle Stromproduzenten wie beispielsweise der Konzern-Riese RWE haben es kleinere Produzenten erneuerbarer Energien ohnehin nicht leicht. Mit den naturgegebenen Schwankungen steigt die Chancenungleichheit noch mehr. Doch gebündelt in virtuelle Kraftwerke können nicht nur die Schwankungen ausgeglichen werden, sondern auch die Marktchancen erneuerbarer Energien steigen. Darüber hinaus ist die weite Verteilung der Bio-Produzenten vorteilhaft, da sie den Strom über kurze Wege transportieren. Konventionelle Kraftwerke produzieren dagegen nur an einem Ort und müssen von dort aus weite Strecken mit Leitungen überbrücken.

Virtuelle Kraftwerke fördern den Wandel der Energieproduktion zu Gunsten der erneuerbaren Energien. Quelle: Tkarcher CC BY-SA 3.0 nach Daten der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen

Virtuelle Kraftwerke in der Wirtschaft

Ein weiterer Aspekt dieser Kraftwerke ist der Handel mit Strom. Virtuelle Kraftwerke bieten die Energie am Markt an. Da die Strompreise viertelstündig variieren, garantiert die Teilnahme an einem virtuellen Kraftwerk für einen Bio-Energie-Produzenten den besten Preis. Denn hierbei kann er selbst bestimmen, wann er den Strom verkauft oder ihn automatisch für den besten Preis veräußert. So kann er auch Kunden mit attraktiven Preisen locken.
Produzenten, die nach dem 1. Januar 2014 ihren Betrieb aufgenommen haben, sind nach dem Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG) mittlerweile sogar verpflichtet, Strom den sie nicht selbst nutzen, zu vermarkten. Dieser Vertrieb funktioniert am einfachsten über einen Direkt-Vermarkter, also ein virtuelles Kraftwerk.

Das Kraftwerk der Zukunft?

Virtuelle Kraftwerke stärken das Potenzial erneuerbarer Energien. Sie sind eine bedeutende Komponente bei der Umsetzung der Energiewende. Sie schützen somit Umwelt und Gesundheit. Gleichzeitig bündeln sie die Kraft kleiner Stromproduzenten und greifen diesen unter die Arme. Andererseits bieten virtuelle Kraftwerke Angriffsfläche für Cyber-Attacken. Alle Daten sind digital und die Verwaltung der Energien erfolgt über Computer. In Zeiten der Digitalisierung trifft das jedoch genauso für Kraftwerke mit fossilem Energieträger zu. Hohe Priorität für Kraftwerk-Betreiber sollte also der Schutz der Informationstechnik haben.

Solange virtuelle Kraftwerke diesen Schutz also gewährleisten können erleben sie zukünftig einen noch größeren Aufschwung. Denn etwa seit Gründung von Next hat sich die Produktion erneuerbarer Energien mehr als verdoppelt. Selbstverständlich liegt das nicht nur an virtuellen Kraftwerken, sondern auch an der steigenden Erzeugerzahl erneuerbarer Energien. "Weder heute noch in Zukunft werden virtuelle Kraftwerke die alleinige Lösung für die Energiewende sein", erklärt der Unternehmenssprecher von Next. "Dennoch sind sie ein bedeutendes Puzzleteil".

Mehr Details zu virtuellen Kraftwerken auf technikjournal im Artikel von Kevin Feld.

Teaser-Bild: Virtuelle Kraftwerke vernetzen kleine Bio-Energie-Produzenten. BILD: © Next Kraftwerke

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