Deutschland will sich künftig unabhängig von russischem Gas machen. Möglich kann das werden, indem Wasserstoff den Einsatz von Gas und Kohle in der Industrie ersetzt. Hier steht besonders die Stahlindustrie im Fokus. Wie wird Stahl also grün? // von Maren Mandy Deppe und René Dankert
Die deutsche Stahlindustrie gehört zu den besonders energieintensiven Branchen. Seit des russischen Angriffs auf die Ukraine hat die Branche mit einer starken Steigerung der Energiekosten zu kämpfen. Russland ist der größte Lieferant für importiertes Gas. Um sich in Zukunft unabhängiger zu machen, ist der Einsatz von Wasserstoff in Industrieprozessen bedeutsam. Zudem nimmt die Stahlindustrie den mit größtem Anteil an Treibhausgasemissionen in Deutschland ein. Mit der Nutzung von grünem Wasserstoff in der Produktion wird es jedoch möglich, Emissionen einzusparen und Stahl auf den grünen Weg zu bringen.
Unabhängigkeit durch Dekarbonisierung
14,5 Prozent der deutschen Stromerzeugung entstanden 2021 durch den Einsatz von Erdgas. Die steigenden Strom- und Gaspreise bedeuten für die deutsche Stahlindustrie erhebliche Mehrkosten, die unter anderem für einige Stahlwerke nur noch wenig rentabel oder kaum zu tragen sind. Die Lech-Stahlwerke im bayerischen Meitingen legen als eine der ersten in Deutschland ihre Produktion seit März 2022 tageweise still. Umso wichtiger wird es, sich in Zukunft auch hier schrittweise von fossilen Energieträgern zu lösen, um an Unabhängigkeit zu gewinnen. Wasserstoff ist für die Dekarbonisierung der Industrie Schlüsselelement.
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Wasserstoff findet Anwendung im Alltag
Die Anwendungsbereiche von Wasserstoff lassen sich hauptsächlich in vier Bereiche aufteilen: die Industrie, die Stromerzeugung, der Wärmemarkt und der Mobilitätssektor. Überschüssiger Solarstrom vom Dach kann durch einen Elektrolyseur zu Wasserstoff verwandelt und in Tanks gespeichert werden. Nach einer Befragung der Marktforscher EuPD Research sehen 64 Prozent der rund 500 befragten Hausbesitzer, den Einsatz von Wasserstoff als ein solchen Stromspeicher in Zukunft als realistisch an.
Wasserstoffmobilität als Alternative im Personennah- und Stadtverkehr, in Form von Bussen oder Müllabfuhrwagen überzeugen bereits knapp ein Drittel der Befragten. In privaten Haushalten ist der Einsatz von Wasserstoff häufiger zu beobachten. Wasserstoff wird beispielsweise für die Bereitstellung von Raumwärme genutzt. Dabei kommen sogenannte Brennstoffzellenheizungen zum Einsatz, die als Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) fungieren und somit gleichzeitig Strom und Wärme erzeugen. Hohe Anschaffungskosten und Sicherheitsanforderungen sowie ungenügende Speichermöglichkeiten stellen jedoch noch große Barrieren dar.
Große Relevanz von Wasserstoff für die Industrie
„Man muss die Menschen von Betroffenen zu Akteuren machen“, so Professor Görge Deerberg, Mitglied des Koordinationskreises des Projekts Carbon2Chem und stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer UMSICHT. Es sei wichtig mit der Bevölkerung aktiv in den Austausch zu gehen. Initiativen wie das Museumsprojekt „Power2Change“, aber auch Workshops mit Psychologen/innen und Ingenieuren/innen, um die Ängste und Sorgen der Bevölkerung zu deuten und ihnen die technischen Vorgänge verständlich zu erklären, seien eine gute Möglichkeit. Auch wenn bislang Wasserstofftechnologien in alltagsrelevanten Produkten der privaten Haushalte eine weniger große Rolle spielen, sei es wichtig, dass die Bevölkerung die enormen Chancen für die Industrie und den Mobilitätssektor erkennt.
Innovation in der Stahlindustrie mit Carbon2Chem
Das "Handlungskonzept Stahl“ der Bundesregierung setzt die Rahmenbedingungen für eine grüne Stahlproduktion. Der Einsatz von Kokskohle zur Stahlerzeugung soll schrittweise auf Wasserstoff umgestellt werden. Wenn Wasserstoff mit Sauerstoff in Kontakt kommt, oxidiert er zu Wasser und setzt dabei Wärme frei. Diese kann dann in elektrische Energie umgewandelt werden und fossile Rohstoffe wie Öl oder Erdgas ersetzen. Die Bundesregierung hatbereits mehrere Förderprogramme, Studien und Projekte auf den Weg gebracht. Eines ist unter anderem das Forschungsprojekt „Carbon2Chem“ zur Erprobung der Option der stofflichen Nutzung von CO2-Emmissionen („Carbon Capture and Usage“, CCU). Vorteil sei, laut Görge Deerberg, dass Carbon2Chem schnell und zeitnah eingesetzt werden könne. Die Technologien seien vorhanden, sie müssten nur entsprechend angepasst werden. Lediglich große Mengen an erneuerbarer Energie würdenoch fehlen.
CO2 durch die stoffliche Nutzung von Abgasen einsparen
Seit September 2018 wird im Rahmen des IPCEI im Technikum Carbon2Chem in Duisburg an der Technologie und der stofflichen Nutzung von Abgasen geforscht, sowie in einem Stahlwerk unter Industriebedingungen im Praxisbetrieb getestet. Bei der Stahlproduktion entstehen Abgase aus Hochofenprozessen, sogenanntes Hüttengas. Diese enthalten chemische Komponenten wie Stickstoff, Wasserstoff und CO2. Mittels eines Umwandlungsprozesses können die Abgase zu Synthesegasen verarbeitet werden. Synthesegase sind wiederum Vorprodukte für Basischemikalien wie Ammoniak oder Methanol, die zur Herstellung von Dünger, Treibstoff oder Kunststoff dienen. Auf diese Weise wird CO2 nicht in die Atmosphäre getragen, sondern stofflich verwendet. „Hier kommt es zu einer CO2- Einsparung von rund 50 Prozent und das ist besser als nichts“, so Deerberg, wenn es sich um einen offenen Kreislauf handle, wie bei der Nutzung als Kraftstoff. Dabei werde die Bereitstellung von fossilen Brennstoffen durch den Einsatz dieser Methode vermindert. Werden aber beispielsweise Kunststoffe hergestellt, so kann der Kreislauf geschlossen werden.
Energiewende mit grünem Wasserstoff
Die Bundesregierung verabschiedete im Juni 2020 die Nationale Wasserstoffstrategie (NWS), mit dem Ziel grünen Wasserstoff als Energieträger zu etablieren und Klimaneutralität in CO2-intensiven Industrieprozessen zu gewinnen. Grüner Wasserstoff ist, laut der Bundesregierung, das Schlüsselelement für eine klimaneutrale Produktion. Die Stahlindustrie ist die Branche mit dem größten Anteil an Treibhausgasemissionen: Sie macht rund 30 Prozent der gesamten industriellen und knapp sechs Prozent der Gesamtemissionen in Deutschland aus. Im europäischen Wasserstoffprojekt "IPCEI“ werden rund 60 Wasserstoff-Großprojekte ausgewählt und durch Fördermittel seitens Bund und Länder unterstützt. In dem Rahmen entstand auch das Projekt "Carbon2Chem“, dass die stoffliche Nutzung von CO2-Emmissionen möglich machen soll.
Solarwärmekraftwerke als Alternative
Speziell für grünen Wasserstoff sind die Produktionskosten hoch, grundlegend muss der Strom günstiger werden. Denkbar wäre aber auch Wasserstoff alternativ mit Wärme in solarthermischen Kraftwerken zu erzeugen. Das funktioniert allerdings nur in den südlichen Breiten wie Sizilien oder Nordafrika. „Concentrated Solar Power (CSP) allgemein hat bisher noch keine relevante Bedeutung erreicht. Eine solarthermische Herstellung von Wasserstoff auf Basis von CSP ist grundsätzlich möglich. Allerdings steckt die Technologie noch in ihren Anfängen. Hier ist noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit nötig, bis die Bewertung erfolgen kann, ob es eine technisch-wirtschaftlich aussichtsreiche Technologie ist.“, so Jan Breitfeld vom Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien (KEI).
Hürden für Wasserstoffwirtschaft
Wasserstoff kann günstiger werden, indem Investitionen attraktiver werden. Momentan sind fossile Rohstoffe wie Erdöl und Erdgas im Vergleich deutlich preiswerter. Lösung könnte unter anderem eine CO2-Steuer auf fossile Energieträger sein. Ein starker Heimatmarkt an Wasserstofftechnologien fehlt noch. Technologien für den Transport und der Ausbau von Speichertechnologien sind neben einer serienmäßigen Herstellung von großflächiger Wasser-Elektrolyseure notwendig, um Wasserstoff in der Zukunft auf dem Markt zu etablieren und Klimaziele einhalten zu können.