In den USA sind sie schon Standard, 2019 werden sie auch in Europa Pflicht: künstliche Fahrgeräusche aus dem Lautsprecher für Elektro- und Hybridautos. Doch nicht jeder ist von dem sogenannten Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) begeistert. //Von Max Hoffmann
Elektroautos fahren besonders leise, das wird sich bald ändern. Ab dem 1. Juli 2019 müssen alle neuen elektrisch- und hybridbetriebenen Fahrzeuge mit einem akustischen Fahrzeug-Warnsystem ausgestattet sein. Ein Soundgenerator und wasserdichte Außenlautsprecher geben dann bei einer Fahrgeschwindigkeit bis 20 Stundenkilometern einen Ton ab. Bei höheren Geschwindigkeiten reichen die Fahrgeräusche der Reifen. So lautet die Vorschrift der EU.
Gefahr bei niedrigen Geschwindigkeiten?
Die Regelung soll Verkehrsteilnehmer schützen. Elektroautos erzeugen kaum Motorgeräusche, lediglich ein leises Surren ist zu hören. Das trifft auch auf Hybridvarianten zu, wenn diese bei langsamen Verkehr rein elektrisch fahren. "Bei richtiger Ansteuerung funktionieren Elektromotoren nahezu lautlos", bestätigt Prof. Alexander Asteroth, geschäftsführende Direktor des TREE Instituts und Sprecher der Arbeitsgruppe "Effiziente Mobilität" der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg . Für Fußgänger und Fahrradfahrer stelle dies eine Gefahr dar. Besonders im Stadtverkehr seien anfahrende Elektroautos leicht zu überhören. Nach Untersuchungen der amerikanischen Behörde für Verkehrssicherheit (NHTSA) ist das Unfallrisiko für Fußgänger bei Elektroautos um 19 Prozent höher als bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.
Die Unfallforschung der Versicherer befassen sich wissenschaftlich mit diesem Problem. "Wir sind es vor allem als Fußgänger gewohnt, auch unser Gehör zur Hilfe zu nehmen. So ist es vielen, insbesondere in ruhigerer Umgebung, schon passiert, dass sie auf die Straße getreten sind und dann über einen nahen Fahrradfahrer erschrocken sind. Wir glauben, dass leise Kfz einen langen Gewöhnungsprozess brauchen", erklärt Siegfried Brockmann von den Unfallforschern der Versicherer.
Forschen am richtigen Ton
Doch wie soll der Ton denn klingen? An der Technischen Universität München befassen sich Psychoakustiker mit dieser Frage. Die Vorgaben für das AVAS sind eher weit gefasst. Wichtig ist, dass Fußgänger und Fahrradfahrer ein Auto im Straßenverkehr frühzeitig erkennen können. "Das Geräusch muss die Assoziation "Fahrzeuggeräusch" hervorrufen, darf also nicht wie ein Rasenmäher oder eine Kaffeemaschine klingen", sagt Professor Hugo Fastl vom Lehrstuhl für Mensch-Maschine-Kommunikation der TU München.
Hörbeispiel
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Vom Grundgeräusch zum fertigen Signal
Mit dem AVAS System sollen besonders Unfälle mit körperlich beeinträchtigten Menschen verhindert werden. So sollen beispielsweise Blinde ein herannahendes Elektrofahrzeug erkennen können.
Für so einen Sound gibt es einige Faktoren zu beachten. "Wir haben zunächst ein Grundgeräusch, dem wir eine Tonhöhe zuordnen", sagt Fastl. "Sehr tiefe Frequenzen sind schwierig abzustrahlen. Dafür müssen die Lautsprecher am Auto sehr groß sein." Sind die Frequenzen zu hoch könnten ältere Menschen diese eventuell nicht hören.
Wie schnell ein Auto fährt, kann außerdem über die Tonhöhe vermittelt werden. Beschleunigt das Auto, wird der Ton höher: bremst es, wird er Ton niedriger. Andere Verkehrsteilnehmer können so Rückschlüsse über das Fahrverhalten ziehen, auch wenn sie das Auto nicht sehen. Die Klangfarbe ist ebenfalls wichtig. Die Sounds sollen voll und satt klingen. Außerdem müssen sich die Fahrzeuge der verschiedenen Hersteller voneinander unterscheiden. "Die Autos werden wie jetzt auch markenspezifisch unterschiedlich klingen", sagt der Wissenschaftler. Neben Frequenzbereich und Klangfarbe spiele die Rauigkeit eine wichtige Rolle. Diese beschreibt, wie schnell sich die Lautstärke eines Tons ändert. Wenn ein Geräusch besonders rau ist, wirkt es sportlicher.
Der Klang im Kreis
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Die neue Lautstärke in der Kritik
Das Umweltbundesamt (UBA) lehnt die Lösung mit einem akustischen Dauerton ab. Anders als in den USA gebe es in Europa keine Zahlen, die ein höheres Unfallrisiko durch Elektroautos belegen würden. Es gebe jedoch Studien, die zeigen würden, dass moderne Verbrenner ebenfalls bei niedrigen Geschwindigkeiten sehr leise seien. Forscher des Center Automotive Research (CAR) Instituts der Universität Duisburg-Essen untersuchten 2011 verschiedene PKW und Kleintransporter auf Vorbeifahrgeräusche. Es wurde mit dem Experiment untersucht, wie vor allem eingeschränkte Personen mit Seh- oder Gehöreinschränkung Fahrgeräusche von verschiedenen Autos wahrnehmen. Das Ergebnis: Neben den Geräuschen der getesteten Elektrofahrzeuge, hatten die Probanden auch Probleme Benziner zu hören. Sie ordneten diese sogar fälschlicherweise den Elektroautos zu. 2011 war ein Zusatzton nur für Elektroautos daher für die Forscher keine sinnvolle Lösung. Auch nach dem UBA würden moderne Verbrenner immer leiser werden. "Das Argument, dass Elektrofahrzeuge im Stehen keine Geräusche machen, gilt auch nicht mehr, denn moderne Verbrenner haben eine Start-Stopp-Automatik und sind so genauso leise", ergänzt René Weinandy, Leiter des Fachgebietes Lärmminderung und Verkehr des Umweltbundesamts.
Kein Platz für Lärm in der Stadt der Zukunft
Mit Die Stadt von Morgen: Die Vision hat das UBA seine Vorstellung von Städten in der Zukunft vorgestellt. Auch hier ist ein Dauerton für Elektroautos nicht vorgesehen. Die Stadt der Zukunft soll leise sein. Da ist jeder künstlich erzeugte Ton fehl am Platz. "Es gibt nur vage Vorgaben wie das Geräusch klingen muss. Stehen dann mehrere Fahrzeuge mit AVAS an einer Ampel und überall piept und brummt es, weiß der Fußgänger eventuell auch nicht mehr von wo eine Gefahr ausgeht", sagt Weinandy. Die Lösung des UBA-Experten ist eine andere und kommt ganz ohne akustisches Signal aus. "Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer hat oberste Priorität. Allerdings gibt es genug technische Lösungen, die beispielsweise Fußgänger erkennen und das Fahrzeug dann zum Stoppen bringen, die ganz ohne Lärmverschmutzung auskommen." Auch der Wissenschaftler der TU München, Prof. Hugo Fastl, plädiert für eine andere Lösung als den Dauerton. Fahrzeuge sollen mit Fußgängererkennung ausgestattet sein. Der Ton würde dann nur erklingen, wenn das Fahrzeug einen Fußgänger erkennt.
AVAS Vorgaben der EU
• Schallerzeugungsverfahren:
Beim Fahren im Geschwindigkeitsbereich bis 20 km/h muss das AVAS automatisch ein Schallzeichen erzeugen. Das gilt auch für das Rückwärtsfahren, außer die Fahrzeuge verfügen über ein eigenständiges Signal beim Rückwärtsfahren.
• Schalter:
Das AVAS muss über einen Schalter aktiviert und deaktiviert werden können. Dieser Schalter muss gut für den Fahrer erreichbar sein. Beim Starten des Fahrzeuges muss das AVAS automatisch aktiviert sein.
• Dämpfung:
Den Geräuschpegel des AVAS darf der Fahrer während des Fahrzeugbetriebs verringern. Eine Regulierung der Lautstärke muss somit möglich sein.
Art und Lautstärke des Schallzeichens:
• Das Dauerschallzeichen des AVAS muss Fußgänger und andere Verkehrsteilnehmer vor einem in Betrieb befindlichen Fahrzeug warnen.
• Das Fahrverhalten sollte eindeutig an dem Signal zu erkennen sein,
z. B. durch eine automatische Veränderung des Geräuschpegels bei Veränderung der Geschwindigkeit.
Die vollständigen Vorgaben gibt es hier.