Technik für den Augenblick

Millionen von Menschen sind weltweit vom Grauen Star befallen und drohen zu erblinden. Die Behandlung der Linsentrübung ist teuer, nicht immer zahlt die Krankenkasse. Kölner Forscher sollen nun nicht nur ein präziseres, sondern ein auch billigeres Operationswerkzeug entwickelt haben.// Von Rafael Rabe.

Forscher der technischen Hochschule (TH) Köln haben ein neues Operationswerkzeug für Grauer-Star-Patienten entwickelt. Das Schneidegerät soll die Öffnung der Linsenkapsel erleichtern. An einem Stab sind fünf im Kreis angeordnete Stifte befestigt, in deren Zentrum sitzt die rotierende Schneide. Der operierende Arzt muss die Stifte direkt über der Linsenkapsel positionieren. Die speziell legierte Stahlschneide wird anschließend über einen Magneten angetrieben und rotiert.

Der Graue Star

Es beginnt mit einem leichten Schleier über den Augen, ein getrübter Blick. Doch anders als nach dem Aufstehen, lässt sich die Trübheit nicht aus den Augen reiben. Unschärfe bestimmt die Sicht. Hinzu kommt schon bald eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Licht. Die Kontraste der Farben werden schwächer. Auf dem Höhepunkt erscheinen Dinge doppelt und dreifach.
Wenn nicht gerade Alkoholkonsum für die Symptome verantwortlich ist, könnte es sich um den Krankheitsverlauf des Grauen Stars, fachmedizinisch als Katarakt bezeichnet, handeln. Cataracta nennen Lateiner einen Wasserfall. Und wie ein Wasserfall zieht sich bei der Krankheit eine milchige Trübung mehr und mehr durch die Linse im Auge. Unbehandelt führt der Graue Star zur Erblindung. Weltweit ist er in den meisten Fällen die Ursache für Blindheit.
Normalerweise tritt Katarakt im Alter auf, jedoch können bereits Kleinkinder durch Veranlagung betroffen sein. Neben dieser Ursache kann der Graue Star eine Alterserscheinung sein. Er kann durch starkes Rauchen, Drogen- und Medikamentenkonsum, Augenverletzungen und Strahlungen gefördert werden oder als Begleiterscheinung anderer Augenerkrankungen auftreten.

Das konventionelle Katarakt-OP-Werkzeug

Glücklicherweise ist die Krankheit behandelbar. Rund 14 Millionen Menschen lassen sich daher jährlich am Auge operieren.
Dabei muss die Linsenkapsel kreisrund aufgeschnitten werden. Anschließend zerstören die Ärzte die Linse und ersetzen sie durch eine künstliche.
Aktuell dominieren dabei zwei Vorgehensweisen. Bei der Phakoemulsifikation muss der Arzt von Hand mit dem Skalpell den Schnitt führen und anschließend die Linse über Ultraschall zerstören. Das Verfahren hängt dabei von den manuellen Fähigkeiten des Operateurs ab und ist daher risikobehaftet. Ein unsauberer Schnitt kann umgehend zur Erblindung führen. Alternativ ist der Einsatz eines Femtosekundenlasers, der sowohl den Schnitt als auch die Destruktion der Linse übernimmt. Auch dieser Prozess ist nicht risikofrei, denn der Operateur muss den Laser zielgenau positionieren. Einmal in Position, garantiert die Methode allerdings Präzision. Das Gerät kostet in der Produktion rund 400.000 Euro, die Verbrauchsteile pro Operation 500 Euro. Im Durchschnitt zahlt der Patient für den Femtosekundenlasereinsatz etwa 1200 Euro Aufpreis-pro Auge.
Die Krankenversicherung greift lediglich bei der Phakoemulsifikation. Und selbst dabei erst ab einem fortgeschrittenen Krankheitsbild. Das heißt, für eine Erstattung der Operationskosten muss der Patient warten, bis die Trübung der Linse mindestens 60 Prozent erreicht hat. Andernfalls muss er die Kosten vollständig alleine tragen.

Das neue Verfahren

Das neue Katarakt-OP-Werkzeug: Die Schneide kann mit Hilfe der fünf Stifte genau positioniert werden BILD: Thilo Schmülgen/TH Köln

Die Forscher der Technischen Hochschule (TH) Köln möchten die Situation verbessern. Zusammen mit den AZ Augenchirurgischen Zentren hat ein Team um Professor Uwe Oberheide und dem medizintechnischen Diplom-Ingenieur Marian Jacobs das mechanische Katarakt-OP-Werkzeug entwickelt.
"Die Präzision wird durch den kurzen Prozess von weniger als einer Sekunde erreicht, in der eine kreisförmige Öffnung der Linsenkapsel erzeugt wird", berichtet Oberheide.

"Die Zielsetzung ist, dass im Vergleich zu laserassistierten Katarakt-Operationen ein Bruchteil des bisherigen Preises erzielt wird", erklärt der Professor am Institut für Angewandte Optik und Elektronik (AOE) der TH Köln. Ein Fünftel der Kosten des Lasereinsatzes sind anvisiert und auch realistisch, denn es gibt kaum Verschleißteile an dem Werkzeug. "Es konnte noch nicht an Optimierungen bezüglich der Massenproduktion gearbeitet werden", so Oberheide, daher gebe es noch keine genauen Kosten. Ein Patent sei aber bereits in den USA, China und der EU angemeldet.
Gefördert wird das Projekt durch das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. 180.000 Euro stehen Oberheide zur Verfügung. "Das ist die einzige Zahl, die wir zum aktuellen Zeitpunkt nennen können."
Die Entwicklung sei derzeit noch nicht abgeschlossen. Für ein nutzbares Gerät für klinische Studien und anschließende kommerzielle Verwertung seien noch weitere Entwicklungsschritte notwendig. Daher kann es noch einige Jahre dauern bis das Katarakt-OP-Werkzeug im Einsatz ist.

Dieses Auge ist gesund, doch wenn der durch die Katarakt getrübe Blick kann dank des neuen OP-Werkzeugs bald klarer werden. BILD: pixabay.com

 

Katarakt-OP-Werkzeug macht Eingriff präziser und günstiger

Sicher ist jedoch, dass das neue Verfahren deutlich präziser sein wird als der manuelle Schnitt und deutlich günstiger als die Femtosekundenlaserbehandlung. Denn wie die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) mitteilt, liege das Risiko einer manuellen Katarakt-OP bei bis zu vier Prozent. Abhängig von der Erfahrung des operierenden Arztes. Die Zahl beziehe sich auf die Verletzung der Hinterkapsel der Linse, also der fatalsten aller Katarakt-OP-Fehler, und beruhe auf einer Studie der Freiburger Universitätsklinik. Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche weitere Risiken, die bei einer konventionellen Katarakt-OP auftreten können. Beim neuen Werkzeug könne es im Falle einer Störung höchstens dazu kommen, dass das Gerät keinen Schnitt erzeugt, erklärt Oberheide. Demnach könnte das neue OP-Werkzeug also ein Durchbruch in der Kataraktmedizin sein.

Was bedeutet das neue Katarakt-OP-Werkzeug für gesetzliche Kassenpatienten?

Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sind im fünften Sozialgesetzbuch geregelt.
Demnach gelten für die gesetzlichen Krankenkassen genaue Vorgaben, in welcher Höhe beziehungsweise bei welcher Behandlung sie zahlen.
Klar ist, dass gesetzliche Kassen auch weiterhin erst ab einer Linsentrübung von 60 Prozent oder mehr die Kosten des Eingriffs tragen. Jedoch nur die Grundleistung. Diese ist im Kataraktfall lediglich die Phakoemulsifikation. Nur bei besonders schützenswerten Personen oder solchen mit einer nachweislichen psychischen Disposition greift die gesetzliche Krankenversicherung. Für alle anderen sind sowohl die Kosten für das neue Verfahren als auch für die Laserbehandlung so genannte "individuelle Gesundheitsleistungen" , erklärt Sebastian Gülde vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Berlin. Das "sind Leistungen, die nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Dies sind beispielsweise Leistungen, für die keine ausreichenden Belege für ihren Nutzen vorliegen oder die noch nicht einer Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss unterzogen wurden." Da die manuellen Fähigkeiten der Augenchirurgen nicht häufig zum Erblinden eines Patienten führen, gelten die beiden anderen Verfahren also nur als individuelle Gesundheitsleistungen und müssen selbst bezahlt werden.

Was bedeutet das neue Katarakt-OP-Werkzeug für private Kassenpatienten?

Die Arten der Selbstbeteiligung in der privaten Krankenversicherung unterlägen dem, zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem Versicherungsnehmer, ausgehandelten Tarif. Je nachdem könnten also entsprechend höhere oder niedrigere Selbstbeteiligungen als in der gesetzlichen Krankenversicherung vereinbart werden, erläutert Gülde. Private Krankenversicherungen bemühen sich stark, nicht höhere Selbstbeteiligungen zu verlangen als gesetzliche. Dennoch lassen sie sich niedrige Selbstbeteiligungen, beispielsweise beim Einsatz des neuen Kataraktoperationsverfahren, in Form von Versicherungsbeiträgen gut bezahlen. Das heißt, wer weniger Kosten bei einer Behandlung zahlen möchte, muss mehr Geld für seinen Krankenkassenbeitrag bezahlen.
Ebenso zahlen gesetzliche und private Kassenpatienten, wie bei den anderen Operationsverfahren auch, für qualitativ hochwertige Ersatzlinsen viel Geld. Möchte der Patient beispielsweise nach der Behandlung gegen den Grauen Star also wieder ohne Brille nah- und weitsehen, muss er gerne mal zwischen 1500 und 2000 Euro pro Linse zahlen.

Förderung zahlt sich aus

Haben Patienten also einen finanziellen Nutzen von dem neuen Katarakt-OP-Werkzeug? Die Antwort ist Jein. Nur private Kassenpatienten, die keine Zusatzversicherungen abgeschlossen haben und den manuellen Fähigkeiten ihres Augenarztes nicht vertrauen, können durch das neue Verfahren Geld sparen, dann aber mehrere tausend Euro.
Den privaten Krankenkassen spielt Oberheide umgekehrt genauso in die Karten. Sie sparen einen ähnlichen Betrag durch jene Kunden, die eine Zusatzversicherung abgeschlossen haben. Denn an dieser Stelle müsste die Kasse normalerweise für die Kosten einer Femtosekundenlaseroperation aufkommen, kann bald aber auf die billigere, aber mindestens genauso präzise Variante zurückgreifen.
Genau wie Kassenpatienten, die mehr als nur die Standardoperation verlangen. Alles in allem also sind die 180.000 Euro Fördergelder für die Forschung im Vergleich zur Produktion eines einzigen Femtosekundenlasergeräts für 400.000 Euro sehr gut angelegt.

Teaserbild: Unter dieses Messer können sich Patienten bald legen und dabei Geld sparen. BILD: Thilo Schmülgen/TH Köln

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