Zu Beginn der Corona-Krise haben die Menschen Produkte wie Konserven, Nudeln und vor allem Toilettenpapier gehamstert. Die Regale waren leer gefegt. Es hat Wochen gedauert, bis es wieder überall Toilettenpapier zu kaufen gab und jetzt steht es palettenweise in den Läden. // Gesa Steinseifer
Große Handelsketten wie Rewe, Aldi Süd oder dm benutzen zur Überwachung ihrer Lieferketten intelligente Systeme. Diese laufen mehr oder weniger automatisch und können unter anderem Prognosen zum Bestellen von Waren abgeben. Zunächst müssen Unternehmen aber ihre gesamten Lieferketten erfassen. Hier wird eine Lieferkette am Beispiel von Toilettenpapier erklärt:
Was sind Lieferkettensysteme?
Das Supply Chain Management (dt. Lieferkettenmanagement), kurz SCM, befasst sich mit dem gesamten Lieferweg eines Produktes. Dieser Prozess geht vom Lieferanten bis hin zum Endverbraucher und versucht diesen zu optimieren, erklärt Gunnar Steinseifer. Er ist Logistiker und war Ideengeber für die Einführung eines SCM-Systems bei der Bundeswehr. "Gerne wird es mit Planung, Steuerung und Koordinierung des gesamten Liefersystems übersetzt", so fasst Steinseifer es zusammen.
Das Supply Chain Management betrachtet also den gesamten Weg eines Produktes und versucht ihn unter wirtschaftlichen Aspekten zu verbessern. Unternehmen haben dafür moderne Softwareprodukte. Eines der bekanntesten Systeme ist von SAP. Das deutsche Unternehmen ist bekanntgeworden durch seine gleichnamige Software. Die Besonderheit von SAP ist das Modular-System. Ein Unternehmen sucht sich die passenden Module aus, die dann speziell an seine Bedürfnisse angepasst werden. Diese Art der Software wird allgemein als ERP-System bezeichnet. Die Abkürzung steht für 'Enterprise Resource Planning' und kann mit Planung von Unternehmensressourcen übersetzt werden.
KIPs oder Leistungskennzahlen sind Werte, die die Leistung eines Unternehmens in Zahlen ausdrücken können. Anhand dieser Zahlen kann ein Unternehmen sehen, ob vorgegebene Ziele erreicht wurden. Es werden ein Soll-Bereich wie auch kritische Größen festgelegt. Das ERP-System kontrolliert ständig, ob die Daten innerhalb des Bereichs liegen, und meldet, wenn die Zahlen einen kritischen Wert erreichen. Kritische Größen sind zum Beispiel eine zu lange Transportzeit oder eine zu hohe Fehleranzahl bei der Produktion. Diese Werte werden in einem sogenannten SCM-Cockpit überwacht. In diesem Cockpit werden die Kennzahlen oder kritische Größen mit Farben hinterlegt. So könne man schnell erkennen, wo kritische Werte sind, weil dann zum Beispiel eine rote Lampe blinkt oder ein Pfeil als grafisches Element nach unten zeigt, so Steinseifer.
Warum gab es so lange kein Toilettenpapier?
Gerade beim Toilettenpapier hat es besonders lange gedauert, bis es wieder überall zu kaufen war. "Das Klopapier so rar geworden ist, ist der Art und Weise geschuldet, wie es verschickt wird", erklärt Jan-Niklas Kante, IT-Business-Analyst bei der Rewe Group, und damit Schnittstelle zwischen Logistik und IT-Entwicklung.
"Jetzt mal bildlich gesprochen: 30 Paletten à zwei Meter hoch. Auf einer Palette liegen 30 große Packungen à zehn Rollen. Jetzt kauft jeder drei davon. Wenn zehn Leute kommen, ist eine Palette weg. Das heißt in einer halben Stunde bis Stunde ist die gesamte Ladung eines LKWs weg", veranschaulicht Kante die Problematik. "Wenn auf einmal viel mehr in den Markt soll, aber der Platz, um die Ware in den Markt zu bringen, gleichbleibt, dann muss man abwägen. Die Leute hamstern Produkte wie Konserven, Reis und Nudeln – das sind Artikel mit einer großen Verpackung, die viel Platz wegnehmen. Wenn die alle in den Markt müssen, ist dann nicht mehr so viel Platz für Klopapier", so Kante.
Ein LKW liefert normalerweise Waren für einen Tag an einen Supermarkt. Vor allem schnell verderbliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse oder Fleisch werden täglich transportiert. Sogenannte Trockenwaren wie Nudeln oder eben Toilettenpapier würden bei Bedarf mitgeschickt, erklärt Kante. Es hätten also zusätzlich ganze LKW-Ladungen voller Toilettenpapier losgeschickt werden müssen. Das koste Unmengen an Geld und wenn das alle größeren Supermarktketten tun würden, gäbe es auch nicht genug Kraftfahrer, so Kante.
Zu viel Toilettenpapier im Warenlager
Wenn man heute in den Supermarkt geht, steht dort palettenweise Toilettenpapier. Teilweise ohne Logos oder Aufdrucke oder aber mit polnischen oder italienischen Schriftzügen. "Da ist halt die Frage, was man als Handelsunternehmen in Kauf nimmt, um den Konsumenten nicht zu verlieren", erklärt Kante. Es wurde für mehr Geld Toilettenpapier aus dem Ausland eingekauft, damit die Menschen möglichst schnell in ihrem präferierten Supermarkt versorgt werden konnten. Das hat dazu geführt, dass jetzt die Lager voll stehen. Die Lager versuchen es nun an die Märkte zu verteilen, da sie den Platz für andere Produkte wie zum Beispiel Sommersaisonware benötigen.
Doch die eigentliche Lösung des Klopapier-Problems hieß abwarten. "Es gab nie einen Leerstand, vor dem alle Angst hatten", versichert Kante. Es gab zu jeder Zeit in den Lagern Toilettenpapier. Das Problem lag viel mehr darin, dass auch andere Waren außer Klopapier rar geworden sind. Die Handelsunternehmen mussten ein gutes Verhältnis finden und diesen Mix hinzubekommen war sehr schwierig, erklärt Kante. "Man musste sich überlegen, was wichtiger ist: Volle Regale im Markt oder nur Klopapier."
Für die Zukunft gelernt
Für die Zukunft gibt es verschiedene Strategien, damit sich so eine Situation nicht wiederholt. Zum einen müssen Unternehmen sensibler auf Prognosedaten schauen und das ganze Weltgeschehen mitbeobachten. Zum anderen kann im Fall von Toilettenpapier jeder Markt ein kleines Depot aufbauen. Da Klopapier keine verderbliche Ware ist, kann es gut langfristig gelagert werden.
Falls es also noch mal zu so einer Situation kommen sollte, gibt Kante zu bedenken, dass Supermärkte zwar eine Warenversorgungspflicht haben, aber eine Abgabe nur in haushaltsüblichen Mengen erfolgen sollte. Daher sieht er als wichtigsten Punkt, dass die Märkte frühzeitig reagieren und Restriktionen auf Ausgaben erteilen."Das ist die Quintessenz, die alle für sich mitgenommen haben. Man muss eine Restriktion reinbauen, sonst werden wir der Lage nicht mehr Herr", fasst Kante zusammen.
Teaserbild: Leere Supermarktregale vs. Regale voller Toilettenpapier //Quellen: BlueBreezeWiki & Caisare / CC BY-SA bearbeitet von Gesa Steinseifer
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