Sven Neumann an seinem DAW im Tonstudio.

Auswirkungen der Corona-Krise auf die Musikindustrie

Das Coronavirus ist wohl mittlerweile jedem ein Begriff. Starke Einschränkungen im öffentlichen Leben, Schließungen von Geschäften, Homeoffice sowie Absagen aller größeren Events und Messen sind die Folgen dieser Krise. Eine der am stärksten betroffenen Branchen ist die Musikindustrie. Mit Online-Konzerten und Remote Recording geht sie ihren ganz eigenen Weg. // Von Marcel Randazzo und Henry Hausmann

Laut dem Statistischen Bundesamt gibt es rund 70.000 Berufsmusiker in Deutschland. Davon sind nur rund 24.000 angestellte Musiker, der Rest sind Freiberufler. Durch die Digitalisierung der Musikindustrie wurden in den letzten Jahren immer mehr Konzerte, Festivals und Tourneen zur Haupteinnahmequelle der Musikschaffenden. Das spiegelt sich auch in steigenden Preisen für Konzerte und sinkenden Verkaufszahlen von Tonträgern wider. Um das Coronavirus einzudämmen, wurden alle Konzerte und Festivals bis Ende August 2020 abgesagt.

Musiker in der Corona-Krise

Sebastian Schneiders ist Berufsmusiker und Teil der Bonner Brasspop-Band QUERBEAT. Bekannt durch den Kölner Karneval, tourt die Gruppe seit 2017 durch Deutschland und Europa. Aufgrund der Corona-Krise hat sich auch ihr Arbeitsalltag stark gewandelt. Proben ist laut Schneiders zurzeit nicht möglich: "Wir hatten in den letzten Wochen eigentlich geplant mit 13 Mann zu proben und Songs zu schreiben. Das haben wir jetzt natürlich nicht gemacht." Durch Regelungen wie den Mindestabstand von 1,5 Metern ist Proben in kleineren Räumen oder in größeren Gruppen schwierig.

Aber nicht nur das Wegfallen von Proben, auch die abgesagten Konzerte sind eine ungewohnte Situation. "Im Sommer hatten wir geplant, um die 30 Konzerte und Festivals zu spielen. Das hätte auch bedeutet, fast jeden Donnerstag bis Sonntag im Nightliner unterwegs zu sein und durch Europa zu fahren.", so Schneiders. Allein in Deutschland wurden bereits bis zum 1. Mai über 175 Festivals aufgrund von Corona abgesagt. Darunter auch das World-Club-Dome-Festival in Frankfurt mit rund 180.000 Zuschauern, bei dem auch QUERBEAT gespielt hätte. Für Sebastian Schneiders hat die gewonnene Zeit aber auch etwas Gutes: "Wir wollten ohnehin an unserem neuen Album arbeiten, so haben wir jetzt noch deutlich mehr Zeit, die wir dann aktuell in die Produktion stecken können."

Von der Idee zum Album

Die Produktion eines Albums verläuft bei vielen Bands unterschiedlich. Die Grundschritte sind jedoch fast immer gleich:

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Tonstudios in der Corona Krise

Sven Neumann ist zusammen mit Patrick Hoffmann Studiobesitzer der Klangfabrique in Lohmar. Dort produzieren sie seit über 20 Jahren Songs und bearbeiten den Ton für Spielfilme und TV-Produktionen. Auch sein Arbeitsalltag hat sich durch die Corona-Krise stark geändert. "Schon vor dem Kontaktverbot haben sehr viele Bands aufgrund von Unsicherheit abgesagt.", so Neumann. "Wirtschaftlich betrachtet sind rund 90 Prozent der Aufträge weggefallen." So wie Sven Neumann geht es vielen Tontechnikern. Laut dem Bundesverband für Kultur- und Kreativwirtschaft gehen  circa zwei Drittel der Selbständigen und Kleinstunternehmer in der Kunst- und Kulturbranche von Umsatzeinbußen über 20 Prozent durch COVID-19 aus. Ein Fünftel von ihnen geht sogar von über 50 Prozent aus. Besonders betroffen sind dabei vor allem Selbständige, deren Tonstudio zu klein ist, um den Mindestabstand von 1,5 Meter einhalten zu können. So geht es auch Neumann in seinem Studio.

 

Es gibt viele verschiedene DAWs, einz davon sieht man auf dem Bild.

Im DAW sind alle Audiospuren des fertigen Songs zu sehen. Quelle: Marcel Randazzo und Henry Hausmann

Homerecording

Eine Alternative zu herkömmlichen Tonstudios ist Homerecording. Dabei übernimmt der jeweilige Künstler die Arbeit des Tontechnikers/Ingenieurs und kontrolliert die Aufnahme der Tonspuren und mixt/mastert selbst. Die dafür benötigte Technik, zum Beispiel ein Interface, ist über die letzten 10 Jahre deutlich günstiger geworden. Ein Interface wird benötigt, um analoge Audiosignale in digitale Signale umzuwandeln. Meist bekommt man es schon ab 30 Euro und ein passendes DAW in der Einsteigerversion umsonst. "Immer mehr wird von zu Hause erledigt, um den Workload im Studio selbst zu senken", so Neumann. Die passende Technik ist jedoch nur die eine Sache. Mit den immer komplexeren DAWs umzugehen ist eine andere.

Begriffserklärungen

DAW: „Digital Audio Workstation“- Diese Software gibt es in verschiedenen Ausführungen. Sie muss jedoch im Grunde genommen nur mehrere Spuren aufnehmen und diese abspielen können. Diese Software ist essenziell, um Instrumente aufzunehmen und Musik zu produzieren.

Mixing & Mastering: Beim Mixing geht es um das Synchronisieren und Anpassen aller Audiospuren für den Track. Beim Mastering werden die verschiedenen Audiosignale meist in das viel verwendete Stereo-Signal umgewandelt. Dabei wird dann im Gegensatz zum Mixing nicht jedes Instrument einzeln, sondern der Song im Gesamten bearbeitet. Bei mehreren Songs auf einem Album wird beim Mastering dafür gesorgt, dass diese einheitlich klingen und das Werk als Ganzes zusammenhängend erscheint.

Interface: Ein Interface ist eine externe, meist über USB angeschlossene Audioeinheit. Über diese Audioschnittstelle können Instrumente und Gesang professionell aufgenommen werden. Diese wandelt das analoge Input-Signal des Instruments in ein digitales, vom PC erkennbares Signal um. An ein Interface kann man zum Beispiel Klinkenkabel oder XLR-Kabel anschließen.

DI-Signal: Das DI-(Direct Input)Signal ist der unbearbeitete und rohe Sound eines Instruments. Diese Spur kann im Nachhinein bearbeitet und anders vertont werden. Dieses Signal bietet sich besonders wegen seiner Flexibilität an.

Klinkenkabel: Klinkenkabel oder Klinkenstecker sind Kabel zur Vermittlung von Audiosignalen. Diese gibt es in verschiedenen Ausführungen, bekannt durch Kopfhöreranschlüsse sind zum Beispiel die 3,5mm-Klinkenstecker. Für Instrumente werden Klinkenkabel mit einem Durchmesser von 6,5 mm verwendet.

XLR-Kabel: XLR-Kabel sind Audiokabel für die Übermittlung von Mikrofon- und Lautsprechersignalen. Sie werden im Recording für Gesangsaufnahmen verwendet und zeichnen sich durch ihre drei Pins am Stecker aus.

Das Studio im Internet

Eine weitere Möglichkeit sind Online-Studios, bei denen man das zu Hause aufgenommene Audios einschicken kann. Das Audiomaterial wird dann gemastert und das fertige Produkt dann an den Musiker zurückgeschickt. Diese "Online-Studios" seien aber laut Sven Neumann nichts Neues, sie würden sich nur aufgrund der aktuellen Lage und der sinkenden Preise für Technik größerer Beliebtheit erfreuen. Außerdem sind diese Studios meist günstiger, weil sich der Betreiber Räume und Zeit spart. Jedoch setzt diese Variante voraus, dass der Musiker bereits das komplette Equipment für ein Homerecording besitzt. Ein weiteres Problem ist, dass man nicht vor Ort mit dem Tontechniker spricht und so keinen direkten Einfluss auf das Ergebnis hat.

Die Zukunft des Tonstudios?

In ein Tonstudio gehen, ohne in ein Tonstudio zu gehen, geht das? Ja, mit Remote Recording:

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Diese Methode ist in vielerlei Hinsicht sehr sinnvoll und praktisch, bringt jedoch auch einige Schwierigkeiten mit sich. Der wahrscheinlich größte Vorteil dürfte die räumliche Unabhängigkeit sein. Durch eine stabile Internetleitung ist es irrelevant, ob die Kommunikationspartner im selben Dorf oder auf anderen Kontinenten wohnen. Die Internetleitung selbst muss dabei im Falle von zum Beispiel VST-Connect, einer Remote Recording Software, mindestens 256 kBit/s übertragen können. Zum Vergleich: die Durchschnittsgeschwindigkeit des Internets in Deutschland beträgt 23 mBit/s.

Diese einfache Möglichkeit sich von überall zu verbinden macht es auch möglich, bestimmte Studios, die die eigenen Wünsche perfekt erfüllen würden, anzufragen, auch wenn diese weit weg sind. Jedoch kann diese Form des Recordings durch unerwartete technische Störungen durchaus gehemmt werden. Beide Benutzer müssen zum Beispiel die gleiche Software verwenden. Außerdem müssen beide dasselbe DAW verwenden, damit das Remote Recording funktioniert. Bevor man starten kann, sollte man sich die grundlegenden Funktionen des DAW beigebracht haben, damit man als Künstler auf seiner Seite der Verbindung die Software richtig einrichten kann.

Ein Konzert spielen während COVID-19

Laura Langenbach arbeitet bei der Musikstation in Bonn. Die Musikstation setzt sich dafür ein, neue Künstler auf die Bühne zu bringen und veranstaltet regelmäßig Konzerte. "Aktuell wurden alle Konzerte abgesagt, wann es weitergeht, weiß keiner.", so Langenbach. Im Moment suche man nach anderen Formaten, um weiterhin Kulturarbeit leisten zu können. Eines dieser Formate ist das Konzept des Online-Konzerts. Hierbei wird die Performance eines Künstlers gefilmt und über Portale wie YouTube und Twitch live gestreamt. Bei dieser Lösung ist der Stream für jeden frei einsehbar. Der Musiker ist dabei abhängig von Spenden der Live-Zuschauer, die die Möglichkeit haben dem Künstler direkt eine bestimmte Geldsumme zu schicken. Eine weitere Alternative sind Webseiten, die nur mit einem bestimmten Code oder Link aufgerufen werden können. Bei dieser Variante kann der Zuschauer den Code dann wie bei einem Konzert über den Kauf einer Eintrittskarte erwerben.

Online-Konzerte haben jedoch auch Nachteile. "Livemusik lebt von mehr als nur der Musik und dem Bild, das man dazu sieht. Es geht bei Konzerten auch um die gesamte Atmosphäre und die Leute, die zusammenkommen", so Schneiders. Auch die Gratiskultur im Internet ist ein Problem. Ältere Konzerte stehen meist auf YouTube gratis zur Verfügung und konkurrieren so mit den neuen Livestreams der Künstler.

Der Einfluss der Technik

Durch Techniken wie Remote Recording und Live-Konzerte im Internet beschleunigt die Corona-Krise sicherlich die Digitalisierung in der gesamten Musikindustrie. Jedoch gibt es gerade im Kunstsektor bestimmte Komponenten, die nicht oder noch nicht durch technische Hilfsmittel ersetzt werden können. Live-Konzerte und Festivals sind mehr als nur eine Übertragung von Bild und Ton. Auch die Arbeit mit erfahrenen Tontechnikern lässt sich durch digitale Lösungen nicht ersetzen. Die Möglichkeit gezielt in jeden Schritt der Aufnahme eingreifen zu können, gibt man durch die rein digitale Verbindung auf.

Die Covid-19-Pandemie hat jedoch auch gezeigt, dass viele digitale Lösungen für Konzerte und Recording bereits existieren, jedoch aus Gewohnheit noch nicht etabliert wurden.

Teaserbild: Die Arbeit im Tonstudio wird durch COVID-19 deutlich schwerer. // Quelle Marcel Randazzo und Henry Hausmann

Die Autoren

Marcel Randazzo

Henry Hausmann

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