ClearSpace-1 soll Schrott einsammeln und diesen in die Erdatmosphäre fliegen, damit er verbrennen kann. Quelle: École Polytechnique Fédérale de Lausanne/J. Caillet

Müllabfuhr im All

Im Erdorbit befinden sich Unmengen an Weltraumschrott. Die European Space Agency (ESA) startet mit "ClearSpace-1" nun die erste Aufräum-Mission im All. //von Marcel Zobel

Weltraumschrott bedroht die internationale Raumstation sowie sämtliche Satelliten. Es bestünde die Gefahr, dass die für den Betrieb von Satelliten erforderlichen Umlaufbahnen unpassierbar würden, falls sich das Risiko von Kollisionen weiter erhöhe - so steht es in einem Bericht des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen (INT).  Dies wiederum hätte enorme Auswirkungen auf alltägliche Technik wie Telekommunikation, Navigation, Wettervorhersagen und Überwachung.

Daher ist es dringend notwendig, dass sich jemand Gedanken darüber macht, wie man diesen Müll beseitigt oder zumindest reduziert. "Stellen Sie sich vor, wie gefährlich es wäre, auf hoher See zu segeln, wenn alle Schiffe, die jemals in der Geschichte verloren gingen, immer noch auf dem Wasser treiben würden", so ESA-Generaldirektor Jan Wörner. "Das ist die aktuelle Situation im Orbit, und es darf nicht so weitergehen. Die Mitgliedstaaten der ESA haben diese neue Mission nachdrücklich unterstützt."

Weltraummission ClearSpace-1

ClearSpace-1 ist die erste Mission mit dem Ziel aktiv Weltraumschrott zu beseitigen. Die Namensgebung verdankt sie dem Unternehmen ClearSpace, das mit der ESA kooperiert. Es ist ein Schweizer Spin-off-Unternehmen, bestehend aus Wissenschaftlern der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL). Die ESA wählte es in einem Wettbewerbsverfahren aus. Nun soll ClearSpace die Mission leiten und entsprechende Technologien zur Erfassung und Beseitigung des Weltraumschrotts entwickeln. Laut der European Space Agency ist der Start von ClearSpace-1 für das Jahr 2025 vorgesehen. Die Vorbereitungen beginnen allerdings noch dieses Jahr im März.

Raketen-Aufbau

Eine Rakete besteht aus mehreren Stufen. Die unteren Stufen beinhalten unter anderem ein Triebwerk sowie Treibstoff. Sie werden abgeworfen, sobald die Rakete im All angekommen ist, um das Gesamtgewicht der Rakete zu verringern. Übrig bleibt die Oberstufe. Sie befördert die Fracht der Rakete in die gewünschte Umlaufbahn und koppelt sich dann ebenfalls ab.

Erstes Ziel der Mission sei es, solch eine Oberstufe namens Vespa einzufangen. Sie wurde im Jahre 2013 nach dem zweiten Flug der ESA-Trägerrakete Vega im All zurückgelassen. Seitdem befindet sie sich in einer Umlaufbahn von 660 bis 800 Kilometern Höhe. Das Schrottteil wiege etwa 100 Kilogramm und komme der Größe eines Kleinsatteliten nahe. Da es zudem eine einfache und robuste Konstruktion aufweise, eigne es sich als erstes Zielobjekt, teilte die ESA mit.

Die ESA finanziert das Projekt größtenteils selbst. Ende November letzten Jahres beschlossen die 22 Mitgliedsländern der ESA auf der "Space19+"-Ministertagung in Sevilla ein Budget von 14,4 Milliarden Euro. Ein höheres Budget hatte die ESA noch nie zur Verfügung. Das davon bereitgestellte Gesamtbudget für ClearSpace-1 beträgt 100,2 Millionen Euro, wobei ClearSpace die restliche Finanzierung mithilfe von Sponsorpartnern und privaten Investoren übernehmen soll, heißt es in einer Pressemitteilung der EPFL.

Ablauf der Mission

Zunächst werde der ClearSpace-1-"Chaser", der Basis-Satellit, in eine niedrigere Umlaufbahn von 500 Kilometern Höhe gebracht. Dort soll er in Betrieb genommen werden. Nachdem dann kritische Tests durchgeführt wurden, steige der Chaser auf die Zielumlaufbahn in 660 bis 800 Kilometern Höhe. Dort finde dann das Rendezvouz mit dem Zielobjekt statt, bei dem der Chaser das Zielobjekt Vespa mit seinen vier Roboterarmen einfange, dessen Eigenrotation stoppe und schließlich die Umlaufbahn in Richtung Erde verlasse, um gemeinsam in der Erdatmosphäre zu verglühen. Das Ziel des Wiedereintritts werde so gewählt, dass jegliche Gefahr für menschliches Leben oder den Flugverkehr auszuschließen sei.

Geplanter Ablauf der Mission ClearSpace-1 - Quelle: École Polytechnique Fédérale de Lausanne/J. Caillet

Geplanter Ablauf der Mission ClearSpace-1 - Quelle: École Polytechnique Fédérale de Lausanne/J. Caillet

Ob Trümmerteile verbrennen oder für lange Zeit bestehen bleiben, hängt davon ab in welcher Höhe sie sich befinden. Trümmerteile in einer niedrigen Umlaufbahn erfahren mehr Luftwiderstand durch die Erdatmosphäre. Dadurch verlieren sie mit der Zeit an Geschwindigkeit und verglühen letztendlich in der Erdatmosphäre. Bestehen sie aus hochschmelzenden Stahl- oder Titanlegierungen, erreichen sie die Erde. Je nach Entfernung und Flugbahn könne es allerdings Jahrhunderte dauern, bis sich Trümmer aus den Umlaufbahnen lösen, heißt es in einer Stellungnahme der EPFL.

Active Debris Removal (ADR)

ClearSpace-1 ist eine ADR-Mission. Active Debris Removal (ADR) bezeichnet das aktive Entfernen von Weltraumschrott. Es rückt nach Angaben des Fraunhofer-Instituts für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen immer mehr in den Fokus. ADR verfolge unterschiedliche Ansätze. Allen Konzepten liege jedoch dasselbe Ziel zugrunde: Trümmerstücke abzubremsen oder auf einen anderen Orbit zu bringen, damit sie durch den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre schließlich verglühen oder auf sogenannten Friedhofsorbits abgestellt werden.

Zum einen gibt es kontaktlose Methoden. Dazu zählen Laser, die ein Objekt durch gezielte Laserimpulse abbremsen. Dabei kann es jedoch Jahre dauern, bis das Objekt in die Atmosphäre eintritt und verglüht. Der Vorteil dieser Methode ist, dass sie mehrfach eingesetzt werden kann. Allerdings besteht die Gefahr, dass Objekte durch zu starken Beschuss weiter auseinanderfallen. Zum anderen gibt es kontaktvolle Methoden. Dabei kommt ein Basis-Satellit, auch Chaser genannt, zum Einsatz. Dieser transportiert das Zielobjekt auf den gewünschten Orbit. Dies geschieht entweder mit steifen oder flexiblen Methoden. Zu den steifen Methoden zählen Roboter- und Tentakelsysteme, wie sie auch bei ClearSpace-1 eingesetzt werden. Flexible Verbindungen hingegen arbeiten mit Fangnetzen, Fangleinen sowie Harpunen.

Einige der oben genannten Methoden werden weltweit von Weltraumorganisationen, staatlichen als auch privaten Organisationen hinsichtlich ihres Einsatzes bei künftigen ADR-Missionen diskutiert und erprobt.

Es ist höchste Zeit für ein Aufräumkommando im All

Luc Piguet, Gründer und CEO von ClearSpace, sagt in einer Pressemitteilung der ESA: "Dies ist der richtige Zeitpunkt für eine solche Mission." Das Problem sei dringender als je zuvor. Nach Angaben der ESA befinden sich momentan etwa 5000 Satelliten im Orbit und nur 2000 davon sind noch funktionstüchtig. "Und in den kommenden Jahren wird die Zahl der Satelliten steigen", ergänzt er. Es seien mehrere Megakonstellationen aus Hunderten oder sogar Tausenden von Satelliten in einer niedrigen Erdumlaufbahn geplant, um weitreichende Telekommunikations- und Überwachungsdienste mit geringer Latenzzeit zu erbringen. "Es ist klar, dass ein 'Abschleppwagen' benötigt wird, um ausgefallene Satelliten aus dieser stark frequentierten Region zu entfernen."

Das Kessler-Syndrom

So nennt sich das im Jahre 1978 von Donald J. Kessler postulierte Szenario, in dem die Dichte von Objekten in der niedrigen Erdumlaufbahn so hoch wird, dass eine Kollision zwischen zwei Objekten eine Kettenreaktion auslösen würde. Wenn zwei Objekte kollidieren, entstehen daraus viele kleinere Objekte, die wiederrum mit anderen kollidieren. Dabei steigt die Wahrscheinlichkeit weiterer Kollisionen mit jedem Zusammenstoß exponentiell an.

Träte dieses Szenario tatsächlich ein, wäre die Erforschung des Weltraums nicht mehr denkbar, da es zu riskant und somit auch zu teuer würde, Raketen, Satelliten und vor allem Besatzungen in den Weltraum zu befördern. Nicht zuletzt würden in diesem Szenario auch nach und nach die Satelliten, die für Navigation und Telekommunikation zuständig sind, zerstört werden, was massive Auswirkungen auf die Gesellschaft haben könnte. Luisa Innocenti, Leiterin der ESA-Initiative CleanSpace, sagt: "Selbst wenn morgen alle Weltraumstarts gestoppt würden, zeigen Hochrechnungen, dass die Gesamtpopulation von Weltraumschrott weiter wachsen wird, da Kollisionen zwischen Objekten in einem Kaskadeneffekt neue Trümmer erzeugen."

Ursachen für Weltraumschrott

Nach Angaben der European Space Agency gab es seit dem Beginn der Raumfahrtzeit im Jahre 1957 etwa 5450 Raketenstarts und mehr als 500 Explosionen und Kollisionen im All. Infolgedessen entstand eine erhebliche Menge an Schrott.

Oberstufen von Raketen, mit denen Satelliten ins All gebracht werden und die danach im Orbit bleiben, sind nur eine Ursache. Ihre Umlaufbahnen können exakt bestimmt werden, weshalb Kollisionen mit intakten Satelliten oder der Intenational Space Station (ISS) vermeidbar sind. Ein anderer Grund sind Explosionen. Diese resultieren meist aus Treibstoffreserven oder entladenen Batterien, die sich entzünden. Geschieht dies, enstehen tausende von kleinen Trümmerteilen, deren Position nicht mehr genau bestimmt werden kann. Weltraumschrott entsteht aber auch durch defekte Satelliten, die nicht mehr genug Treibstoff besitzen, um ihre Position zu ändern. Mithilfe restlichen Treibstoffs wäre es möglich, die Satelliten in der Erdatmospähre verglühen zu lassen oder in einen Friedhofsorbit zu manövrieren, wo sich ausschließlich ausgediente Satelliten befinden.

In manchen Fällen werden Satelliten auch bewusst abgeschossen. China schoss beispielsweise im Jahre 2007 einen seiner eigenen Satelliten zu Testzwecken mit einer Mittelstreckenrakete ab. Dadurch musste der Katalog des US Space Surveillance Networks, der Objekte im All listet, um 3300 Einträge erweitert werden. Dieser Vorfall vergrößerte den Katalog um 25 Prozent.

Weltraumschrott in Zahlen (Stand 2019)

Angaben der ESA zufolge brachten die rund 5450 Raketenstarts seit Beginn der Raumfahrt etwa 8950 Satelliten in die Erdumlaufbahn. Davon befinden sich noch etwa 5000 im Weltraum, von denen allerdings nur noch rund 2000 funktionstüchtig sind. Der Katalog des Space Surveillance Networks verfolgt circa 22.300 Objekte. Die Gesamtmasse aller Objekte im All beträgt mehr als 8400 Tonnen. Die Anzahl an Trümmerobjekte in der Erdumlaufbahn werden durch statistische Modelle geschätzt. Demnach gibt es etwa 34.000 Objekte, die größer als 10 Zentimeter sind, 900.000 Objekte mit einer Länge von 1 bis 10 Zentimeter, und 128 Millionen Objekte mit einem Durchmesser von einem Millimeter bis einem Zentimeter im Orbit.

Verfolgung und Katalogisierung von Weltraumschrott

Weltraumüberwachungssysteme der Vereinigten Staaten sowie Russlands verfolgen und katalogisieren mithilfe von bodengebundenen Radaren jene Objekte im niedrigen Orbit, die einen Durchmesser zwischen fünf und zehn Zentimetern aufweisen. Im geostationären Orbit, der 36.000 Kilometer über dem Äquator beginnt, werden Objekte zwischen 30 Zentimetern und einem Meter erfasst. Die Umlaufbahn der erfassten Objekte ist in den meisten Fällen bekannt, sodass etwaige Kollisionen mit Satelliten und der ISS vermieden werden können. Objekte, die kleiner als ein Zentimeter sind, werden zwar erkannt, aber es ist nicht möglich deren Umlaufbahn genau vorherzusagen.

Überdies werden Daten von Forschungsradaren und Teleskopen im mehreren Ländern erhoben, die in das "Database and Information System Characterising Objects in Space" (DISCOS) einfließen und in gemeinsamen Kampagnen koordiniert werden. Die Koordination geschieht im Rahmen des Inter-Agency Space Debris Coordination Comittee (IADC). Die IADC ist ein internationales Regierungsforum. Weltweit koordiniert es die Aktivitäten im Zusammenhang mit vom Menschen gemachten und natürlichen Trümmern im Weltraum.

Richtlinien für Nachhaltigkeit im Weltraum

Im Jahre 2002 verfasste die IADC Minderungsrichtlinien, die auch vom Ausschuss der Vereinten Nationen für die friedliche Nutzung des Weltraums (UNCOPUOS) angenommen wurden. Diese Richtlinien sollen Weltraumschrott reduzieren und verhindern. Allerdings kann niemand juristisch verfolgt werden, wenn er sie nicht einhält.

Aus diesem Grund haben einige Raumfahrtnationen damit begonnen nationale Gesetze umzusetzen, berichtet die ESA. Die Gesetze würden hauptsächlich durch das UN-Haftungsübereinkommen bestimmt. Dieses Übereinkommen ist Teil des Weltraumvertrags von 1967. Nach Angaben des Auswärtigen Amts haben derzeit 106 Staaten, darunter auch Deutschland, den Vertrag unterzeichnet. Im Vertrag steht, dass die Staaten für Schäden auf der Erde, im Luftraum oder im Weltraum haften, die durch einen ihrer, in den Weltraum gebrachten, Gegenstände verursacht wurde. Sofern diese Schäden auf fahrlässigem Handeln beruhen. Während die Konvention die Haftung gegenüber den Staaten vorsieht, stellen die nationalen Gesetze sicher, dass der tatsächliche Raumfahrtbetreiber im jeweiligen Staat Vorkehrungen zur Risikominderung trifft, schreibt die ESA.

Die Richtlinien und Gesetze scheinen wirksam zu sein: Denn aus dem Space Environment Report von 2019 geht hervor, dass etwa 70 Prozent aller Raketenkörper, die das Ende ihrer Lebensdauer erreichen, die Richtlinien zur Reduzierung des Weltraumschrotts zum Schutz der erdnahen Umlaufbahn (LEO) einhalten. Ein erheblicher Teil davon sei auf einen kontrollierten Wiedereintritt nach dem Start zurückzuführen. Im Satellitenorbit (GEO) seien 60 bis 80 Prozent der ausgedienten Satelliten vorschriftsmäßig. Dass die Vorschriften eingehalten werden, ist ein positiver Trend, der sich zunehmend verstärkt und somit dem Müll im All entgegenwirkt.

Teaserbild: ClearSpace-1 soll Schrott einsammeln und diesen in die Erdatmosphäre fliegen, damit er verbrennen kann. Quelle: École Polytechnique Fédérale de Lausanne/J. Caillet 

Der Autor

Marcel Zobel

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