24 Stunden Rohmilch

Im August ist im Milchhäuschen der Familie Flatten aus Euskirchen die 1.111. Flasche Rohmilch verkauft worden. Eine Entwicklung, die Bäuerin Cornelia Flatten nicht erwartet hat. Frische Milch bedeutet für die Familie jeden Tag nicht nur körperliche, sondern vor allem technische Höchstleistungen. //Von Manuel Ernst

Es ist sieben Uhr am frühen Morgen, die Sonne geht über dem landwirtschaftlichen Betrieb der Familie Flatten auf. Doch in der Anlage herrscht schon reger Betrieb. Rund 100 Milchkühe müssen gemolken werden. Cornelia Platten und ihr Vater treiben die Tiere routiniert in die vollautomatische Melkanlage. Die Milchbauern säubern die Euter von Hand, danach wird das Melkgeschirr angeschlossen. Die Milch fließt; rund 30 Liter pro Kuh und das zwei Mal täglich. "Jede Kuh hat ihre eigene Nummer und mit Hilfe des Displays kann Milchmenge, Besamungszeiten und Alter punktgenau abgerufen werden",  erklärt Milchbäuerin Cornelia Flatten.

Die Landwirtschaft ist stark automatisiert

Die Milch wird nach dem Melkvorgang direkt über das Melkgeschirr in Leitungen zu einem Sammelstück transportiert. Dort misst eine Maschine die Milchmenge und gleicht sie mit den Leitwerten ab. Sollte es zu Diskrepanzen kommen, kann das bereits Aufschluss über eine mögliche Erkrankung einer Kuh geben. Die Milch wird direkt nach dem Melkvorgang gefiltert. Dieser Prozess dient dazu, dass kleinste Schwebeteilchen oder Einstreu entfernt werden. Nach dieser Station wird die Frischmilch mittels eines Plattenvorkühlers auf drei bis vier Grad heruntergekühlt. Der Plattenkühler gleicht optisch einer Heizung, durch eine geschwungene Rohrleitung wird die Milch geleitet, die Platten reduzieren dabei die Temperatur. Nun wird die Rohmilch in zwei Kühltanks gelagert, die zimmerhoch sind, und mit einer nur mit einer Leiter zu besteigen sind, sie fassen insgesamt über 7.000 Liter. In den Tanks sind Rührwerke verbaut, sodass die Milch ständig in Bewegung bleibt. Die Milchbauern erzeugen alle zwei Tage etwa 5.500 Liter Milch. Das entspricht etwa 55 Badewannen gefüllt mit Milch. Jedoch kommt nur ein kleiner Teil davon in das Milchhäuschen. Dort werden zwischen 75 und 100 Liter am Tag mittels eines Automaten verkauft. Der Rest wird an die Molkerei abgegeben.

Ein Bruchteil der Milch wird am Automaten verkauft

Das Milchhäuschen ist mit einem Rohmilchautomaten bestückt. Dieser wird täglich gefüllt. Über den Münzeinwurf lässt sich der Automat starten. Daneben ist ein großer Vermerk angebracht: Rohmilch vor dem Verkehr abkochen. Die Milchbäuerin erklärt, dass dieser Vermerk auf Grund von gesetzlichen Vorschriften bei Rohmilch angebracht werden muss. Auch Birgit Jacquemin, Sprecherin der Landwirtschaftskammer NRW, erläutert: "Dieser Hinweis ist dringend notwendig." Rohmilch wird, anders als die Milch, die in den meisten Supermärkten steht, nicht abgekocht. Das bedeutet, dass Keime in der Milch sein können und sich trotz der Kühlung ausbreiten und vermehren können. Einer der bekannteren Keime ist das Darmbakterium "Escherichia coli". Dieser kann bei sensiblen Personen zu massiven Magenproblemen führen. Ein zweiter, weniger bekannter Keim ist Campylobacta. "Dieses Bakterium hat die Eigenheit, dass geringste Mengen bereits ausreichen, um Magen-Darmprobleme zu verursachen", warnt die Diplom-Biologin Marina Möseler von der Universität Bonn. Sie rät ebenfalls dazu, die Milch vor den Verzehr über mehrere Minuten auf über 72 Grad zu erhitzen, sodass die Gefahr von Infektionen reduziert wird.

Milch rund um die Uhr

Im Inneren des Automaten sind zwei Milchkannen zu sehen. Diese fassen insgesamt 100 Liter. Die Milch wird stets auf drei bis vier Grad gekühlt. Sollte eine Kanne leer sein, wird automatisch die zweite Kanne zur Entnahme der Milch verwendet. Die Milchbäuerin erklärt, dass die Milch jeden Tag nachgefüllt wird und nicht länger als 24 Stunden im Automaten verbleibt. Zusätzlich wird die Milch kontinuierlich bewegt. Oberhalb der beiden Kannen ist ein Rührwerk angebracht. "Durch die Bewegung setzten sich keine Bestandteile der Milch ab und sie bleibt stets in gleicher Qualität", betont Flatten. Bei der Entnahme der Milch wird diese durch einen Schlauch aus der Kanne gesaugt und direkt über die Zapfvorrichtung in die Flasche geleitet. Nach jeder Entnahme spült der Automat die Schläuche automatisch mit Wasser nach, sodass keine Milchrückstände an der Vorrichtung verbleiben. Alfons Bruni ist der Hersteller der Bunimat-Automaten. Er beschwichtigt: "Einmal im Jahr werden alle Schläuche, die mit Milch in Berührung kommen, ausgetauscht." Um die Sauberkeit der Automaten zu kontrollieren, kommt das Veterinäramt unangemeldet vorbei.

Direktvertrieb in Deutschland besonders geregelt

Der Direktvertrieb von Rohmilch ist in Deutschland nur innerhalb der landwirtschaftlichen Betriebe erlaubt. Neben dieser Möglichkeit rüsten aber auch Supermärkte auf und statten ihre Verkaufsflächen mit Automaten aus. Dort wird dann entweder Frischmilch oder sogenannte Vorzugsmilch verkauft. Frischmilch muss auf 72 bis 75 Grad erhitzt werden. Vorzugsmilch wird, ähnlich wie die Rohmilch, nicht erhitzt, sie unterliegt aber strengeren Kontrollen nach der Tierischen Lebensmittel-Hygieneverordnung (LMHV). Diese Verordnung sieht eine monatliche Kontrolle der Milchbetriebe vor.

Die Automatennachfrage steigt

Neben der Firma Bunimat gibt es auch noch andere Hersteller, die sich auf die Direktvermarktung spezialisiert haben. Peter Fograscher von der Firma Milchkonzept sieht einen Trend: "Mit jedem Lebensmittelskandal sehen wir eine erhöhte Nachfrage an Automatenbestellungen. Die Menschen werden sensibler für Lebensmittel und möchten regionale Produkte kaufen." Ein Trend, der sich branchenweit zeigt. Rebecca Liebers ist Betreiberin der Seite für Milchautomaten-Direktvermakter und berichtet: "Derzeit zählen wir über 500 Milchtankstellen, Milchzapfstellen, Milchautomaten und Direktvermarkter in Deutschland, Tendenz steigend."

Die Familie Flatten liegt voll im Trend. "Die Investitionskosten von rund 25.000 Euro werden wir wohl innerhalb eines Jahres wieder eingenommen haben und damit früher als gedacht." resümiert Cornelia Flatten. Weniger Arbeit haben sie deswegen jedoch nicht. Erst wenn die Sonne über den Bauernhof der Familie Flatten wieder untergeht, neigt sich ein langer Arbeitstag dem Ende zu. Doch eines schient sicher, auch morgen kommen wieder Kunden zum Milchhäuschen und zapfen frische Rohmilch, die ihren Weg vom Euter zur Flasche durch viele technische Apparate gelaufen ist.

Der Autor:

Manuel Ernst

Manuel Ernst

 

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