Das ungeordnete Ansammeln digitaler Daten bezeichnet man als digital Hoarding. Für Menschen kann dies zu einer psychischen Belastung führen

Wenn Daten krank machen

Das ungeordnete Anhäufen digitaler Daten wird von Psychologen als so genanntes Digital Hoarding bezeichnet. Das Phänomen ist eine Unterform des Messie-Syndroms. Doch ist es eine Gefahr, wenn man zu viele Daten hortet? Technikjournal hat mit einer Psychologin und einem Organisations-Coach gesprochen. //Von Björn Pahlke

Der Laptop startet. Der Startbildschirm erscheint, zu sehen: Unmengen von Ordnern, viele Dateien. Wenige davon wurden in der letzten Zeit benutzt. Dennoch bleiben sie auf dem Desktop. Die richtige Datei zu finden, dauert ewig. Vielen dürfte es so ergehen, wenn sie ihren Arbeitstag starten. Das Durcheinander von Dateien kann einen PC zum Abstürzen bringen. Es führt einen PC sozusagen zu einem Burn-Out. Außerdem können zu viele Daten zu erheblichen Sicherheitsproblemen führen. Doch nicht nur der PC kann dadurch leiden, auch für den Menschen besteht die Gefahr einer psychischen Belastung. Das Sammeln und Horten von Dateien kann eine Krankheit sein.

Messie-Syndrom

Etwa fünf bis sechs Prozent der Weltbevölkerung sind schätzungsweise vom Messie-Syndrom betroffen. Im Gegensatz zu Sammlern häufen die Betroffenen des Messie-Syndroms Dinge in ungeordneter Weise an. Gleichzeitig fällt es Ihnen schwer, sich von Dingen zu trennen. Dieses Sammeln beeinflusst die Menschen so sehr, dass ihr Alltagsleben dadurch stark eingeschränkt ist. Sie stellen zum Beispiel ihren Wohnraum mit Schrott zu, sodass dieser kaum noch nutzbar ist. Viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, dass sie von dieser Krankheit betroffen sind.

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Das Messie-Syndrom ist eine bekannte Krankheit. Das sind die Symptome. // Quelle: Pixabay

Digital Hoarding – Was ist das?

Das krankhafte Sammeln digitaler Daten ist eine Form des Messie-Syndroms. Wenige Menschen sind sich wohl bewusst, dass sie in der digitalen Welt als Messies gelten würden. Die digitalen Horter häufen exzessiv Fotos, Videos, E-Mails oder andere digitale Daten an und können sich nur schwer davon trennen. Da alle Menschen unnötige Dateien auf ihrem PC oder Smartphone besitzen, wären demnach sehr viele Menschen digitale Horter. Christiane Watzel ist Diplom-Psychologin und ist als Verhaltenstherapeutin Expertin für das Messie-Syndrom. Sie bewertet dies wie folgt: "Es kann durchaus zu einer Gefahr werden, wenn Menschen digitale Daten exzessiv sammeln." Allerdings sei nicht jeder Mensch automatisch ein digitaler Horter. Doch ab wann ist das Horten digitaler Daten eine Krankheit und ab wann spricht man dabei von einer Gefahr?

Wann wird Digital Hoarding zu einem Problem?

"Es kommt dabei ganz auf das eigene Befinden an. Wenn das Horten der Daten das eigene Leben nicht beeinträchtigt, ist der Mensch auch nicht psychisch krank", so Christiane Watzel. Wenn die eigenen Daten allerdings dazu führen würden, dass man nicht mehr mit ihnen zurechtkomme, solle man sich rechtzeitig Hilfe holen. Sollte beispielsweise das Sortieren von Mails dazu führen, dass andere Lebensbereiche vernachlässigt werden, kann das zu einem echten Problem werden.

Der erste digitale Horter

Der erste Fall von Digital Hoarding wurde 2015 von niederländischen Wissenschaftlern diagnostiziert. Der Betroffene war 47 Jahre alt, als er eine Klinik aufsuchte. Bei ihm begann das Problem, als er sich eine Digitalkamera anschaffte. Mit dieser schoss er zirka 1000 Fotos am Tag. Obwohl sich die Aufnahmen sehr ähnelten, konnte er sich von keiner trennen. Er häufte immer mehr Fotos an, sodass sein Alltag daraus bestand, seine Fotos auf vielen Festplatten zu organisieren und zu horten. Diese Festplatten stellten seinen Wohnraum so zu, dass er seine sozialen Kontakte vernachlässigte und sich nicht mehr entspannen konnte.

Warum horten wir digitale Daten?

Der erste Fall sorgte dafür, dass sich Wissenschaftler mehr mit dem Thema Digital Hoarding auseinandersetzten. Da dieses Thema noch sehr unerforscht war, musste zunächst eine grundlegende Frage gestellt werden: Warum horten wir überhaupt? Gerade in der Zeit der sozialen Medien würden wir praktisch dazu gezwungen, jeden noch so unwichtigen Moment festzuhalten, führt Christiane Watzel an. Dieser zeichne sich als eine Erinnerung aus. Würde dann diese Datei gelöscht, fühle es sich oft so an, als würde man eine Erinnerung löschen. Außerdem spiele die Angst mit, man könnte etwas verpassen, wenn man seine Momente nicht in digitaler Form festhalte.

Digital Hoarding ist weit verbreitet

Mehr als 280 Milliarden Mails und 65 Milliarden WhatsApp-Nachrichten werden pro Tag verschickt. Das führt zu massig überfüllten Postfächern. Ein Psychologen-Team der Northumbria-Universität in Newcastle hat erst kürzlich eine Studie mit 627 Teilnehmern durchgeführt. Dort konnte festgestellt werden, dass das digital Hoarding weit verbreitet ist. Die Postfächer der Befragten umfassten teils 10.000 bis 20.000 Mails, was für die meisten allerdings kein Problem darstellte. "Es ist völlig normal, dass Leute viele, viele Mails haben", sagte Liz Sillence, die an dem Experiment mitgearbeitet hatte, in einem Interview mit ZEIT-Online.  Auch wenn überfüllte Postfächer häufig sind, seien sie nicht für jeden Menschen problemlos.

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In einer Studie wurden drei Gründe besonders häufig genannt, warum wir digitale Daten nicht löschen // Quelle: Pixabay

Warum löschen wir digitale Daten nicht?

In einer weiteren Studie führten Psychologen eine Befragung mit 46 Teilnehmern durch, um Gründe herauszufinden, warum wir gesendete und empfangene Mails nicht löschen. Die häufigsten Antworten waren: Das Aussortieren sei zu aufwändig, man bräuchte die Daten, um später etwas nachweisen zu können oder man hätte schlicht Mühe, sich von Daten zu trennen, da eine emotionale Bindung zu den Dateien bestünde. Wie bereits erwähnt, sind Fotos dafür ein gutes Beispiel, denn Fotos können Erinnerungen für eine bestimmte Lebensphase sein. Ein Löschen dieser Fotos könnte man gleichsetzen mit dem Löschen einer Erinnerung.

Die negativen Folgen des Digital Hoardings

In der besagten Befragung bezeichneten sich die Teilnehmer, obwohl die Begriffe nicht vorgegeben waren, als eine Art digitale Horter. Es besteht also ein Bewusstsein, dass Daten in Massen zu einer Belastung führen können. Die Frage, welche negativen Folgen eine Überflutung an Datenmüll haben kann, beantworteten viele damit, dass dies die eigene Produktivität einschränken würde. Reinhard Sturr ist Organisations-Coach und kennt sich mit Datenorganisation aus. Er spricht von weiteren Problemen durch das Anhäufen zu vieler Daten: "Durch die Datenflut gefährdet man nicht nur die eigene Sicherheit im Internet, auch das eigene Unternehmen kann in Gefahr geraten". Es sei schlichtweg schwieriger an wertvolle Informationen zu kommen oder diese vor potentiellen Hacker-Angriffen zu schützen.

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Digital Hoarding ist nicht nur für einen persönlich gefährlich, sondern auch für das Unternehmen // Quelle: Pixabay.

Die Cloud ist keine Lösung

Eine naheliegende Lösung für das Problem scheint die Cloud zu sein. Denn dort kann man beinahe unbegrenzt Daten sichern, ohne dass ein System überfordert wird. Doch beim digitalen Horten gehe es nicht um das Platz-Problem. "Es geht darum, dass digitale Horter ihre Daten ungern aus der Hand geben", lässt die Diplom-Psychologin Christiane Watzel anmerken. Daher laden diese Horter ihre Dateien nicht gerne in Online-Speichern hoch. Auch wenn sie dies tun würden, würde das zu Problemen führen. Denn den Datenmüll auf andere Server zu laden, führt zu Schaden der Umwelt. Denn je mehr Datenspeicher, desto mehr Energie wird benötigt.

Große Angst durch Google

Am 16. Januar 2020 hat Google beschlossen, die Unterstützung für Windows 7 einzustellen und empfahl, die eigenen Daten zu sichern. Eine solche Information könne bei Betroffenen Panikattacken oder zumindest große Ängste hervorrufen. Das liege daran, dass die Betroffenen kaum in der Lage seien, sich professionelle Hilfe zu holen, da dadurch ihr Chaos offenbart werden würde. Vergleichbar wäre das mit einem undichten Spülbecken in einem Messie-Haushalt. "Der Betroffene würde einfach das Geschirr in der Badewanne stapeln und nicht mehr duschen", meint Christiane Watzel. In keinem Fall würde er sich externe Hilfe suchen, was den Beginn der Entwicklung eines Lebens in kompletter Isolation darstelle.

Der Gefahr des Digital Hoardings aus dem Weg gehen

In jedem Fall ist klar, dass ein unaufgeräumter Desktop nervenaufreibend sein kann. "Es hilft seinen Desktop regelmäßig aufzuräumen und auszumisten. Auch wenn das Zeit kostet, im Endeffekt lohnt sich die Mühe", sagt der Organisations-Coach Reinhard Sturr. Es gibt einige Tipps, die helfen effizient Daten aufzuräumen. In vielen Netzwerken, wie Reddit, geben sich Menschen gegenseitig Tipps, Ordnung zu halten. Es gibt viele Apps und Ratgeber, die beim Sortieren und Ausmisten helfen sollen. Manche Promis, wie Kim Kardashian, lassen sogar professionell digital aufräumen. Sie engagiert sozusagen eine digitale Putzkraft.

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Das Durcheinander auf dem eigenen PC nervt. Diese Tipps können beim Aufräumen helfen. // Quelle: Björn Pahlke via Videoscribe

Sich Zeit nehmen hilft gegen Digital Hoarding

Das digitale Horten ist für viele Menschen kein Problem. Doch es ist durchaus hilfreich und produktiv sich Zeit zu nehmen und die eigenen digitalen Daten zu ordnen. Viele Menschen wissen gar nicht, wie sehr nicht nur ihr PC, sondern auch sie selbst, durch den Datenmüll belastet werden. Das Phänomen ist noch sehr unerforscht und wurde sicher auch deswegen selten diagnostiziert. Sich mit dem Thema mehr auseinander zu setzen, kann helfen. Denn klar ist: Wer seinen PC zumüllt, bringt nicht nur seinen Laptop in Gefahr eines Burn-Outs, sondern auch sich selbst.

Teaserbild: Digital Hoarding ist eine Krankheit, die sowohl Mensch als auch Computer belastet. Quelle: Pixaby, bearbeitet

Der Autor

Björn-Lukas Pahlke

2 comments

  1. Egon Schmitz 7 Februar, 2020 at 02:42 Antworten

    Digitales Horten
    Kommentar von Egon Schmitz
    Obwohl das digitale Horten von Daten allein durch die Begrifflichkeit eine negative Konnotation impliziert, glauben viele Experten nicht daran, dass es sich bei meisten Betroffenen um ein relevantes Problem handelt.
    Das Argument, dass man hier anführen könnte, ist ungefähr wie folgt strukturiert: Eine große Menge an digitalem Content an sich ist kein Problem; das Problem ist vielmehr die Auffindbarkeit der Inhalte. Die Größe des World Wide Web veranschaulicht diesen Punkt: Eine große Menge an Inhalten ist verfügbar, aber Suchmaschinen wie Google haben effektive Algorithmen für die sofortige Auffindbarkeit geschaffen.
    Digitales Horten kann auch für die E-Mail-Korrespondenz logisch sinnvoll und notwendig sein. Unternehmen verwenden häufig E-Mail als primäre Kommunikationsform, so dass das Löschen von Gesprächen und Dokumenten, die zunächst unwichtig erscheinen, problematisch sein könnte, wenn sie später dann doch überraschender Weise benötigt werden.
    Der Speicherplatz auf Festplatte oder in der Cloud wird immer umfangreicher und billiger, so dass die Sorge um die Kosten des digitalen Hortens nicht nachvollziehbar sind. Darüber hinaus ist das digitale Horten eindeutig harmloser als das physische Horten, das sichtbarer ist und physischen Raum einnimmt, der für sonstige Handlungen nicht mehr zur Verfügung steht. Schließlich kann das digitale Horten auf subjektiver Ebene kaum als problematisch angesehen werden, wenn sich der Betroffene durch die Sammlung digitaler Daten einfach nicht belastet fühlt.

    • Chefredakteur 18 Februar, 2020 at 13:31 Antworten

      Sehr geehrter Herr Schmitz,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Eine ergänzende Meinung freut uns sehr und wir sind immer offen für konstruktive Kritik.

      Sie haben absolut Recht, dass eine große Menge an Daten in Zeiten von Cloud-Servern nicht der Kern des Problems ist. Sicher spielt die Auffindbarkeit eine viel größere Rolle innerhalb des Phänomens.
      Digitales Horten kann auch sicher sinnvoll sein, denn es kann immer wieder vorkommen, dass bestimmte Mails, die unwichtig erscheinen, für einen Nachweis gebraucht werden.
      Die Kosten von digitalem Horten sind in der heutigen Zeit auch keinesfalls ein großes Problem. Vielmehr ist es die psychische Belastung, die zu einem Problem führen kann. Allerdings kann ein digitales Horten zu einem Schaden innerhalb eines Unternehmens führen, sodass dadurch Kosten enstehen können. Diese sind dann weniger direkt durch das digitale Horten entstanden, sondern eher durch einen Hacker-Angriff, der durch digitales Horten allerdings viel schwerwiegender ausfallen kann.
      Ich stimme Ihnen auch sehr wohl zu, dass physisches Horten ein deutlich größeres Problem darstellt. Wobei man dort sagen muss, dass alles auch sehr individuell bewertet werden muss. Bei dem einen ist das digitale Horten vielleicht ein größeres Problem, als bei einem anderen das physische Horten darstellt. Allerdings ist es, wie in dem Bericht auch erwähnt nicht für jeden ein Problem, wenn viele Daten auf dem PC herrschen.

      Wir danken Ihnen für Ihr Feedback!

      Mit freundlichen Grüßen
      Ihre Technikjournal-Redaktion und der Autor des Textes

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