Atomkraftwerke vom Fließband und im Kleinformat. Minireaktoren sollen Abhilfe schaffen für eine günstige und nachhaltige Energieproduktion. Trotz des bereits beschlossenen Atomausstiegs einiger Länder setzten viele Forscher auf die neuen Konzepte. Deutsche Experten sehen diese mit kritischem Auge. //von Moritz Grienberger und Marvin Fuhrmann
Vor den Küsten der entlegenen Stadt Pewek im Nordosten Sibiriens schwimmt ein großes stählernes Schiff im Wasser. Umweltaktivisten nennen es das schwimmende Tschernobyl, für andere ist es die Hoffnung auf eine Renaissance der Atomkraft. Die Akademik Lomonossow ist ein schwimmendes Atomkraftwerk auf der die ersten Small Modular Reactor (SMR) verbaut sind. Diese sollen die nahegelegene Stadt in Zukunft mit Strom versorgen. Laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) handelt es sich bei den Minireaktoren um flexible und sichere Energieproduzenten, von denen es weltweit bereits über 72 Konzepte gibt. Das Ziel sei es, eine günstige und treibhausarme Energieproduktion zu schaffen.
Atomkraftwerke vom Band
Konventionelle Atomkraftwerke kommen nicht selten auf eine Leistung von über 1200 Megawatt im Gegensatz zu den von der IAEA maximal festgelegten 300 Megawatt für einen Minireaktor. Um einen großen Reaktor zu ersetzen bräuchte es mehrere dieser SMR-Anlagen. Das soll durch die Serienproduktion der Einzelteile möglich sein. Die Bauteile können an verschiedenen Orten produziert werden und dann wie im Baukastenprinzip am Zielort modular zusammengesetzt werden. Ziel ist es, neben den Kosten auch die Bauzeit niedrig zu halten. Viele Atomenergie-Enthusiasten setzen auf die neue Technik als nachhaltige Energiequelle. Unter ihnen auch bekannte Namen wie US-Präsident Joe Biden, der britische Premierminister Boris Johnson und Unternehmer Bill Gates. Letzterer will mit seiner Firma TerraPower eine Möglichkeit entwickeln, Atommüll als Kraftstoffquelle zu verwenden. Dabei soll das vorher als Abfallstoff gegoltene abgereicherte Uran als Brennstoff verwendet werden.
Konzept aus den USA in den Startlöchern
18 Länder forschen aktuell an der SMR-Technologie. Vier Konzepte aus China, Russland und Argentinien befinden sich in einem weit fortgeschrittenem Zustand. Die meisten Projekte kommen jedoch aus der USA, wo zum Beispiel das Start-Up Unternehmen NuScale mit Hilfe von Subventionen der Regierung ein Konzept der Minireaktoren schaffen will, welches eine passive Kühlung durch ein umgrenzendes Wasserbecken bieten soll. Dadurch sollen die Reaktoren in Notsituationen vor einer Überhitzung geschützt sein und eine Katastrophe wird vermieden. Der Zertifizierungsantrag für das Design wurde im Jahr 2020 von der US-amerikanischen Nuklearaufsichtsbehörde angenommen, so dass die Entwicklung der Minikraftwerke beginnen kann.
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Vom Abbau bis zur Endlagerung: Atomkraftwerke einfach erklärt. // Quelle: Gutachten von SMR-Konzepten des BASE Bild: Moritz Grienberger
Sicherheitsprobleme bleiben weiterhin bestehen
Zwischen dem, was die Minireaktoren versprechen und dem was aktuell Tatsache ist, liegt immer noch ein meilenweiter Unterschied. Klaus Wetteborn, Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, beschäftigt sich in seinem Lehrgebiet mit moderner Kraftwerkstechnik. Für ihn ist die Vorstellung der "inhärenten Sicherheit" eines Minireaktors, also dass sich das System sich passive Kühlungssysteme vor einer Überhitzung selbst schützt, ein großer Vorteil. Das könne jedoch bei Naturkatastrophen oder bei menschlichem Eingriff immer noch keinen garantieren Schutz vor einem GAU bieten. Die Folgen einer Sabotage an einem Atomkraftwerk können fatal sein. Kritiker bemängeln, dass bei den SMR auf geringere Sicherheitsstandards gesetzt wird. Wetteborn bezweifelt zudem die Serienfertigung der Minireaktoren. "Serienfertigungen findet man zum Beispiel bei Autos, bei denen tausende Einzelteile pro Tag gebaut werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das bei Mini-AKWs für Jahrzehnte aufrechterhält."
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Die Top 15 Länder nach Uranverbrauch(2019), sowie deren betriebsfähige Reaktoren (2020) // Quelle: M. Hohmann, A. Breitkopf Bild: Moritz Grienberger
Frage nach Endlagerung bleibt
Um die weltweit aktuell rund 400 Reaktoren durch Minireaktoren zu ersetzen und die gleiche elektrische Leistung zu erreichen, müsste man "mehrere tausende bis zehntausende SMR-Anlagen" bauen, so das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Dies würde dazu führen, dass sich die Sicherheitsmaßnahmen und die Kontrolle erheblich erschweren. Ebenfalls sei zwar die individuelle Radioaktivität der Reaktoren geringer, jedoch würde sich das Risiko durch die angestiegene Anzahl erhöhen. Aktuell liegen keine nationalen oder internationalen Sicherheitsstandards vor, sodass ein angestrebter weltweiter Einsatz zunächst regulierende Konzepte benötigt. Der Terrorschutz würde sich bei einer großen Anzahl an Reaktoren ebenfalls erschweren. Da einige Konzepte eine Nutzung von höheren Urananreicherungen und Plutoniumbrennstoffen voraussetzen, würde der Zugang zu atomwaffenfähigem Material größer werden. Zudem ist die Frage der Endlagerung noch im Raum. Atommüll müsste für eine Millionen Jahre sicher gelagert sein damit er keine Strahlung mehr aufweist.
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Jährlich anfallende Menge an Atommüll nach ausgewählten Ländern weltweit im Jahr 2009 // Quelle: IAEA Bild: Moritz Grienberger
Deutschlands Experten nicht überzeugt
"SMR bietet in naher Zukunft somit keine Alternative, zum Beispiel um die jetzt anstehenden Zukunftsfragen des Klimawandels zu beantworten. Fragen zu Sicherheit, Transport, Rückbau sowie zur Zwischen- und Endlagerung sind bislang ungeklärt", so Diana Feuerer, Pressereferentin vom Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Dort wurde ein Gutachten erstellt, das 31 SMR-Konzepte in größerem Detail betrachtet hat. Überzeugen konnte keines komplett. Die Risiken und nicht beantworteten Fragen stehen weiterhin im Raum. Aktuell ist die Wirtschaftlichkeit der Minireaktoren ebenfalls fragwürdig. Laut der Analyse des Öko-Instituts benötige es dreitausend Anlagen, damit sich die Produktion lohnen würde. Die Baukosten pro Megawatt seien dabei höher als bei vielen erneuerbaren Energien. "Selbst wenn die technischen Probleme der neuen Mini-Reaktoren gelöst werden könnten, würde die neue Technologie doch erst Mitte des Jahrhunderts einsatzbereit sein", so die Deutsche Umwelthilfe.
Teaserbild: Atomreaktoren im Kleinformat und vom Fließband: Die Minireaktoren // Bild: Moritz Grienberger