Ein Plädoyer für die digitale Demokratie

Wie soll die Zukunft aussehen? Professor Dirk Helbing zeichnete ganz unterschiedliche Szenarien: Solche, in denen die Technik den Menschen manipuliert und beherrscht und andere, in denen die Technik für den Umbau der Welt genutzt wird. Seine Botschaft war eindeutig: Die Menschen müssen endlich umdenken. // Von Sven Niewiadomski

Für Dirk Helbing, Professor für Computational Social Science an der Eidgenössische Technische Hochschule ETH in Zürich und Mitverfasser des Digital-Manifest, ist es höchste Zeit zu handeln. Angesichts der Probleme der Menschheit wie zum Beispiel der Klimawandel, die Massenmigration oder Krieg und Hunger sei offenbar das bisherige Prinzip gescheitert. Die Demokratie sei in Gefahr. Seine Vision ist es, die Digitalisierung für eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsform zu nutzen.

Algorithmen tragen zur Filterblase bei

Mit ausladenden Gesten unterstreicht der Professor für Computational Social Science seinen Vortrag. Foto: Jennifer Kosch

Die Digitalisierung sei jedoch nicht nur Teil der Lösung, sondern auch Teil des Problems: „Ist Ihnen klar, dass wir durch Algorithmen gesteuert werden?“ fragte er sein Publikum. Er begründete seine Theorie damit, dass die Algorithmen von Google gefilterte Informationen lieferten. So würden den Menschen Ergebnisse angezeigt, für die sie sich in der Vergangenheit bereits interessiert hatten. Die Menschen würden sich in einer so genannten Filterblase aus Informationen befinden, die für sie zugeschnitten seien.

Bots lernen nicht nur Gutes

Helbing macht aber nicht Google für dieses Phänomen verantwortlich: Letztendlich reagierte das Unternehmen nur auf das Nutzerverhalten. Die vermeintlich „smarten“ Technologien würden durch das Verhalten des Nutzers manipuliert und selber zu einem Werkzeug der Manipulation. Ein gutes Beispiel sei das Microsoft-Experiment mit dem Programm „Tay“: Hier wurde ein selbstlernendes Programm auf dem Kurznachrichtendienst Twitter getestet. Innerhalb von 24 Stunden wurde es von Nutzern so manipuliert, dass es nationalsozialistische und sexistische Propaganda verbreitete.

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Fake News dienen der Manipulation

„Das Leben im digitalen Zeitalter stellt uns vor neue ethische und moralische Probleme“, sagte Helbing. Seiner Meinung nach hat die Frage nach dem verantwortungsvollen Umgang mit den digitalen Technologien eine zentrale Stellung im 21. Jahrhundert. Der Ursprung des Problems sei der neuzeitliche Lebensstil. Pausenlos würden Medien konsumiert, allein in Deutschland durchschnittlich über zehn Stunden täglich. Dabei hinterlassen die Menschen Spuren im Netz, aus denen Interessen und Vorlieben abgelesen werden könnten. Helbing verglich diese Situation mit dem Szenario, dass der Schriftsteller George Orwell vor 50 Jahren in seinem düsteren Zukunftsroman 1984 gezeichnet hatte. In diesem Roman verbreiten die Mächtigen auch falsche Informationen, um die Menschen zu manipulieren. Dies sei mit den sogenannten Fake News vergleichbar.

Wahlmanipulation gefährdet die Demokratie

Prof. Uwe Wiemken stellt eine Zuschauerfrage. Foto: Marc Beschienski

Helbing ist überzeugt: „Technologie kann uns Menschen durch gefilterte Informationen beeinflussen, ohne dass wir es überhaupt merken.“ Ein Beispiel dafür sei die Brexit-Wahl. Es werde behauptet, dass „social bots“ von Brexit-Befürwortern eingesetzt wurden und letztendlich die Abstimmung zu deren Gunsten beeinflusst hätten. Auch bei Wahlen in Deutschland könnte man beobachten, dass bei der Google-Bildersuche gegen bestimmte Parteien Stimmung gemacht würden. „Wir leben im Zeitalter der großen Täuschung“, sagte Helbing. Der unethische und unmoralische Umgang mit digitalen Technologien würde die Demokratie gefährden. „Wir sind am Tiefpunkt“, sagte er, „aber auch dem Punkt, wo wir unsere Zukunft mitgestalten können.“

Nachfolgend einige Eindrücke aus dem Vortrag von Professor Dirk Helbing, eingefangen von Marius Franke:

 

Links:

  • Interview auf taz.de: Interview mit Prof. Dr. Dirk Helbing über seine Mission für die Zukunft mit künstlicher Intelligenz. Er sieht die Souveränität des Menschen in Gefahr und will helfen, das zu vermeiden.
  • Das Digital-Manifest auf spektrum.de: Neun europäische Experten warnen vor der Aushöhlung von Freiheit und Demokratie durch Algorithmen
  • „social bots“ - Was ist das? Der Technikjournal-Artikel behandelt Funktionsweise und Folgen der Meinungsmaschinen
  • Die Macht der Algorithmen: Ein Mitschnitt der Diskussion beim 65. ZEIT FORUM WISSENSCHAFT, bei dem es um Vorteile und Gefahr von Algorithmen und Big Data geht.

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