Mit einem Ganzkörperscan sollen Kunden die Möglichkeit bekommen, ihren eigenen 3D-Avatar zu generieren. Dies soll Kunden und Kundinnen ermöglichen, passgenaue Looks digital von zu Hause aus anzuprobieren. // von Nick Schneider und Jan-Philipp Palumbo
Gerade in Zeiten von Corona wird Onlineshopping immer populärer, wie die Umsatzentwicklung im Versand- und Internethandel zeigt. Um der steigenden Nachfrage nach digitalen Angeboten und dem damit verbundenen Kundenerlebnis gerecht zu werden, müssen Textilkonzerne umdenken. So arbeiten mittlerweile viele Marken zur Größenberatung mit 3D-Scan-Technologien.
Das Problem beim Onlineshopping
Laut einer Studie des Meinungsforschungsinstitut mafoBus stört die meisten Kunden am Onlineshopping, dass sie Produkte nicht berühren oder testen können. Dies spiegelt sich vor allem beim Shoppen von Kleidung wieder. Finden Kunden auf Anhieb nicht die richtige Größe, führt das häufig zu Enttäuschung und das Vertrauen in die Marke lässt nach. Eine unvorteilhafte Situation für beide, Unternehmen und Käufer. Zusätzlich haben hohe Retouren und das vermehrte Ausliefern von Paketen hohe CO2 Emissionen zur Folge. So verursacht jeder Versand innerhalb von Deutschland genauso viele Treibhausgase wie drei Kilometer Autofahrt und für die Firmen fallen erhöhte Kosten aufgrund der Retouren-Bearbeitung an.
Die Lösung
Die Lösung lautet: Retouren minimieren. Diesem Ziel sind viele Bekleidungshändler bereits nähergekommen. So kooperieren beispielsweise s.Oliver oder auch Tom Tailor mit dem Unternehmen Presize. Ein digitaler Größenberater für Mode-Online-Shops, dessen Dienstleistung darin besteht, ein Add-On in den bestehenden Onlineshop zu integrieren, durch das man mit nur wenigen Klicks und einem kurzen einmaligen Scanvorgang über die Smartphone- Kamera die perfekte Größe für jedes Kleidungsstück ermitteln kann. Somit werden Retouren, die aufgrund von unpassenden Größen entstehen, auf ein Minimum reduziert.
Neue Innovation
H&M möchte nun mit der Einführung digitaler Umkleiden noch einen Schritt weitergehen. In Kooperation mit dem Berliner VR-Experten "NeXR Technologies SE" wird derzeit an einem Prototyp gearbeitet, in dem Kunden ihren Körper als 3D-Abbild in ausgewählten H&M-Geschäften scannen lassen können, um daraus einen persönlichen 3D- Avatar zu erstellen. Zum einen können die Kunden so virtuell feststellen, ob ihnen die Kleidung passt und zum anderen ihre präferierten Looks zusammenstellen.
So funktioniert der Bodyscan
Um die genauen Körpermaße eines Menschen oder eines Gegenstands festzustellen, gibt es verschiedene Scanmethoden. All diese Methoden lassen sich mit dem Begriff der Fotogrammmetrie erklären. Mithilfe dieser Technologie lassen sich Maße und Texturen realer Gegenständen oder Personen virtuell modellieren und später auch in Apps einbinden. In der Praxis werden also entweder mit dem Handy oder mithilfe einer digitalen Umkleide möglichst viele Bilder aus möglichst vielen Perspektiven erstellt. Wie diese kamerabasierten Daten in die App der Kunden implementiert werden, weiß am Besten Stefan Zsegora. Als Senior Vice President bei NeXR Technologies SE beschäftigt er sich mit "3D Bodyscanning Solutions" und erklärt uns in einem Interview den Entstehungsprozess eines 3D-Avatars, vom Scanvorgang bis hin zur App-Implementierung.
Der aktuelle Entwicklungsstand
Bislang fungieren die etablierten Scanmethoden über die Smartphone-Kamera lediglich als Größenberater. Ein visualisierter 3D-Avatar wird derzeit noch nicht als Dienstleistung angeboten, ist aber momentan in der Entwicklung. Auch bei H&M ist die Virtual-Fitting-Lösung noch nicht für den breiten Einsatz bereit. Die Automatisierung einzelner Prozesse muss noch optimiert werden, bevor ein erster Prototyp in die Märkte kommt. Bei anderen Dienstleistern sieht es ähnlich aus. Unternehmen wie zum Beispiel presize bieten bereits Virtual-Fitting-Lösungen an, arbeiten aber auch noch an einer verbesserten Darstellung. Laut Jake Lydon, Measurement Extraction Engineer bei prezise.ai, ist es momentan schwierig das Gesicht des eingescannten Körpers optimal darzustellen. Viele Kunden können sich noch nicht wirklich mit dem abstrakten Computergesicht identifizieren. Außerdem wünschen sich die Kunden, verschiedene Passformen an ihrem Avatar ausprobieren zu können, sei es Slim, Oversize, oder Regular-Fit. Das ist bisher auf technischem Wege noch nicht möglich, da es im Moment immer nur eine zugeschnittene Passform für den Kunden gibt. Die Automatisierungskette der Prozesse vom eingescannten Körper bis hin zur App-Implementierung zu optimieren, ist auch noch eine Hürde, die es zu überwinden gilt. Seiner Einschätzung nach wird die sich immer weiter entwickelnde Technologie im Deeplearning-Bereich in Zukunft stark auf die qualitative Darstellung von 3D-Avataren auswirken, sodass der menschliche Körper mit möglichst geringem Aufwand noch detaillierter dargestellt werden kann.