Künstliche Intelligenz (KI) gehört längst zur heutigen Alltagskultur dazu. Auch in der Musik wird zunehmend damit gearbeitet und experimentiert, wie mit der "Beethoven-KI" zur Vollendung der 10. Sinfonie. Dies wirft Fragen nach dem Kunstbegriff, der Kreativität und den wahren Kunstschaffenden auf. //Von Angelika Avdienko und Lilli Franke
Musik wird als gefühlvolle und lebhafte Kunstform gesehen, dessen Menschlichkeit eine KI nur imitieren kann. Dennoch kommen KI-basierte Musiksoftwareprogramme vor allem bei der Musikproduktion zum Einsatz. Ein Beispiel ist die sogenannte Funktionsmusik, umgangssprachlich Fahrstuhlmusik, die beispielsweise in Telefonwarteschleifen oder Videospielen Anwendung findet. Musikerinnen und Musiker nutzen KI aber auch als Instrument oder arbeiten mit ihr zusammen an Kompositionen. Sicher ist, dass KI die Musikindustrie sicht- und hörbar verändert hat.
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"Beethoven X – Das KI-Projekt"
Besonders im Bereich unvollendeter Kompositionen könnte KI einen wertvollen Beitrag leisten. Ein aktuelles Beispiel ist das von der Deutschen Telekom gesponserte Beethoven-Projekt: Mit Assistenz internationaler Musik- und KI-Experten sollte die "Beethoven-KI" eine mögliche Version der 10. Sinfonie kreieren. Mark Gotham, Projektmitarbeiter und Professor für Musiktheorie mit Fokus auf computergestützte Methoden an der TU Dortmund, sieht darin Potential: "Ich kann mir vorstellen, dass Computer sehr nützlich sein können, um Ideen zu organisieren, Ideen zu generieren, Ideen zu hinterfragen." Fast drei Jahre später fand die Welturaufführung der 10. Sinfonie statt. Eine Hörprobe gibt es hier:
KI und Kreativität definiert
Bei Künstlicher Intelligenz (KI) sollen Maschinen durch KI-Algorithmen sowie der Zugabe und Verarbeitung von Informationen Muster erkennen, Regeln erlernen und ein menschenähnliches Intelligenzverhalten entwickeln können. Kreativität hingegen beschreibt die schöpferische Eigenschaft des Menschen etwas Neues oder Originelles zu erschaffen. Dies gilt, jedenfalls bis jetzt, vorrangig als rein menschliche Fähigkeit. KI ist aber mittlerweile so weit fortgeschritten, dass sie mit Vorgaben Kunstwerke generieren oder Musik komponieren kann.
Beethoven für die Beethoven-KI
Die für die "Beethoven-KI" benötigten Daten mussten durch Menschenhand ausgewählt, analysiert und maschinenlesbar aufbereitet werden. Durch Beethovens Werke, Notizen und andere Musikwerke seiner Zeit lernte die KI seinen Stil und sein kreatives Verhalten kennen. Die wenigen von ihm hinterlassenen Aufzeichnungen zur 10. Sinfonie wurden zum Zweck einer Notenerweiterung in das KI-System eingespielt. Darauf basierende Vorschläge der KI werteten die Wissenschaftler aus und spielten eine Auswahl wieder ein. Dieser Vorgang wurde wiederholt, bis eine vollendete Sinfonie entstand.
Beethoven-KI und Menschen kooperieren
Durch dieses Projekt konnte der Musikexperte Gotham feststellen, dass Menschen und KI im Austausch gemeinsam Dinge erreichen konnten, und in Zukunft können, die sonst wohl nicht im Bereich des Möglichen lägen. Andrea Niehaus, Leiterin des Deutschen Museums Bonn mit Promotion in Kunstgeschichte, betont aber die Abhängigkeit der KI vom Menschen: "Eine KI entsteht ja nicht alleine. Sie ist ja immer nur so gut oder schlecht wie der Mensch, der sie sozusagen trainiert."
KI muss nicht kreativ sein
Eine KI würde mit vorgegebenen Informationen und Regeln arbeiten, ergänzt Gotham. Sie selbst müsste nicht kreativ sein und hätte eher eine Unterstützungsfunktion für den Menschen: "Es ist der Mensch, der im Prozess die Fragen entwirft und zwischen den verschiedenen Möglichkeiten wählt." Niehaus sieht das ähnlich: Eine KI wäre so kreativ und gefühlvoll, wie es ihr "beigebracht" und vom entsprechenden Publikum empfunden würde. Zudem befände sich Kunst fortlaufend im Wandel. Die Frage nach der Kreativität von KI ließe sich auch nicht immer einfach beantworten.
Eine Mensch-Maschinen-Interaktion
Auf die Frage, wer in einem solchen Fall als Künstlerin oder Künstler gilt, ist die Antwort für Gotham eindeutig: "Es ist ein kollektiver Prozess – ein Zusammenspiel von Mensch und Computer." Niehaus führt dazu das Beispiel eines Filmabspanns an, in welchem alle Beteiligte aufgeführt werden würden. "Für mich ist KI ein Mittel zum Zweck, ist ein Hilfsmittel, ist nicht mehr als eine neue Technik, ein neues Medium, ein neues Instrument, was die Kunst inspirieren kann." Auch würde KI den einzelnen Kunstschaffenden in Zukunft wahrscheinlich nicht ersetzen.
Mission KI – erleben.verstehen.mitgestalten
Auch die gegenwärtige Ausstellung zu KI im Deutschen Museum Bonn solle Besucherinnen und Besuchern die Grundlagen, Chancen und Herausforderungen von KI vermitteln, so Niehaus. Solche Einrichtungen wie das Museum seien wichtig, um die Angst der Menschen vor technischen Entwicklungen ernst zu nehmen und sie aufzugreifen. Fundiertes Wissen solle kommuniziert und zum Austausch angeregt werden. Laut der Museumsleiterin dürfe Angst nicht dazu führen, dass man Scheuklappen aufsetzt, sondern ganz im Gegenteil: "Wir haben das alle mit in der Hand, wie und wohin sich die Dinge entwickeln."
Der kreative Mensch ist unentbehrlich
In den letzten Jahren hat KI als Instrument oder Werkzeug zunehmende Wichtigkeit in der Musiklandschaft erlangt. Im Zentrum steht dennoch der kreative Mensch, der die kontrollierbare KI programmiert, trainiert und im Austausch mit ihr steht. Zu erwarten sind aber Entwicklungen in der KI-Forschung sowie weitere Veränderungen in der Musikindustrie. "Die Musikbranche ist im Moment im wahnsinnigen Umbruch", äußert der Journalist, Fernsehmoderator, Autor und Philosoph Gert Scobel. "Ich glaube, dass die zentrale Einsicht wirklich die ist, dass Intelligenz und auch Kreativität mit unserem Problemlöseverhalten zu tun haben." Maschinen könnten Probleme zwar lösen, hätten aber keine eigenen Probleme. Deswegen wären sie weder kreativ noch intelligent bzw. nur in einem sehr analogen, genau zu definierenden Sinn.
KI in Musik-Streamingdiensten
Neben der Musikproduktion ist der Einsatz von KI auch im Online- und Musik-Streaming ein viel genutztes Mittel, welches fast jeder von uns täglich (un)bewusst nutzt. Bei Millionen von Konsumenten und einer immensen Musikauswahl sind KI-Algorithmen zur Personalisierung vorprogrammiert. Diese sorgen dafür, dass man auf persönliche Präferenzen basierende Vorschläge erhält, aber beeinflussen gleichzeitig die Musiknutzung. Insgesamt große Datenmengen, die wiederum das Streaming-Angebot und damit die Musikindustrie bewegen.
Teaserbild: Beethoven-KI // Quelle: Lilli Franke