Virtuelle Filmproduktion

Virtuelle Filmproduktion: Digitales Film-Set statt Green-Screen?

Die Screen-Technologie ist schon seit Jahrzehnten fester Bestandteil größerer Filmproduktionen. Sie hat sich weltweit als ein nahezu unverzichtbares Werkzeug der Filmkunst etabliert. In der neuartigen Virtual Production ("Virtuelle Filmproduktion“) scheint jedoch nun eine Alternative gefunden worden zu sein. Eine Alternative, die das Verwenden eines Green-Screens überflüssig machen soll. // Von Diar Nesrat Alo und André Eggermont

Mit der virtuellen Filmproduktion sollen Film-Sets künftig nicht mehr mit Green- oder Blue-Screens auskommen, sondern mit teils gigantischen LED-Panels im Hintergrund, die CGI-Hintergründe in Echtzeit erzeugen. Im aktuellen Zeitalter der Digitalisierung entwickeln sich Medien-Inhalte stetig weiter und werden neue Technologien wie 8K-Auflösung oder fotorealistische, digitale Welten immer mehr zum Standard. Auch der Wandel in der filmischen Machart durch die virtuelle Produktion ist ein wichtiges Element dieser Entwicklung. Diese neue Art der Filmproduktion steckt zwar noch in der Anfangsphase, doch könnte sie schon in naher Zukunft Einzug in die Produktionshallen verschiedenster TV- und Film-Formate erhalten.

Digitale Welt statt grüner Leinwand

Wie die Online-Plattform slashCAM bereits im August 2019 berichtete, stellten mehrere Produktionsstudios in Zusammenarbeit mit Epic Games im Jahr 2019 das erste virtuelle Film-Set vor. Die Szenerie, in der die Aufnahmen der virtuellen Filmproduktion stattfinden, ist dabei von LED-bestückten Bildschirmen und Leinwänden umgeben. Diese bieten viel Spielraum für den Regisseur und weitere Beteiligte in der Ideenfindung der Hintergrund-Kulisse, die mithilfe von Computer-basierten Softwares und der sogenannten Unreal Engine per CGI erzeugt wird.

Unreal Engine

Die Unreal Engine ist eine Engine, die vom Videospiel-Entwickler Epic Games entwickelt wurde und bereits seit 1998 auf dem Markt ist. Seitdem findet sie sich in unzähligen, bekannten Videospielen wieder und wird stetig weiterentwickelt. Mittlerweile gibt es fünf Versionen, von denen die "Unreal Engine 5" erst im Mai 2020 öffentlich vorgestellt wurde. Die Engine wird vor allem dazu eingesetzt, 3D-Objekte und Umgebungen zu modellieren und digital in das finale Produkt einzufügen.

Die Unreal Engine bildet aufgrund ihres enorm hohen Realitätsgrads das Grundgerüst des virtuellen Film-Sets, da die auf der Engine basierten, projizierten Welten auf der CGI-Leinwand kaum von der Realität zu unterscheiden sind. Die jeweilige Kulisse, die im Rahmen einer bestimmten Szene präsent sein soll, kann jederzeit geändert, angepasst und zugeschnitten werden; eine Tatsache, die vielerlei Vorteile mit sich bringt. "Die "Virtual Production“ ermöglicht eine Verbindung und Darstellung der digitalen Welt mit der physischen Welt“, fasst der Video-Produzent und selbstständige Unternehmer Lars Poe zusammen.

"Der Green-Screen wird schon zu Anfang entfernt und die digitale Welt wird am Set über die großen Leinwände im Hintergrund eingeblendet.“ Die gewünschten Drehorte und das nötige Video-Material können demnach direkt in das Film-Set eingebunden und analysiert werden. Das bedeutet, dass bereits vor den Dreharbeiten die komplette Welt geschaffen wird und anhand dieser filmische Elemente wie die Kamerafahrten, technische Einstellungen und die Beleuchtung vorab festgelegt werden können.

Und genau das haben sich die Produzenten der populären Serien "Game of Thrones" und "His Dark Materials" zunutze gemacht. Denn bei beiden TV-Formaten fanden Elemente der virtuellen Filmproduktion bereits Verwendung, wie das Entwickler-Studio Epic Games genauer erläutert. Das grundlegende Prinzip der virtuellen Produktion lag auf der Entwicklung einer digitalen Welt, die auch in der fertigen Serie zu sehen ist. Mit der Unreal Engine wurden Landschaften, Gebäude, Fabelwesen und Personen(-gruppen) digital erzeugt und so angeordnet, dass sich ein stimmiges Bild ergab. So lässt sich die virtuelle Filmproduktion hierbei als Hilfsmittel verstehen, mit dem spezielle und teils komplexe Inhalte in TV und Film vorab digital erzeugt werden, bevor diese am Film-Set umgesetzt werden.

Während der Dreharbeiten bereits im Film

Die Erzeugung virtueller Hintergründe erfolgt in Echtzeit. Die Sets lassen sich nach Belieben verändern, sodass ein ganz neuer Bildeindruck entsteht. So wird eine Landschaft, die über mehrere LED-Bildschirme flimmert, jederzeit neu ausgerichtet oder beleuchtet, bis ein digitales Bild entsteht, das für die jeweilige Aufnahme passt. Für Lars Poe ist dies ein wichtiger Schritt: "Die Bewegung der Kamera wird in Echtzeit in das Programm übertragen. Diese Methode bietet viele Möglichkeiten, da sie ganz ohne das "Keying“ funktioniert und schon das richtige Licht am Set erzeugt.“

Der Green-Screen ist Teil von nahezu jeder filmischen Produktion. Die virtuelle Filmproduktion ersetzt den grünen Stoff durch LED-Leinwände, in denen Objekte und Personen im Vordergrund einer räumlichen CGI-Projektion stehen. | Quelle: Diar Nesrat Alo

Dabei fungieren sogar die LED-Panels selbst als Lichtquelle und können für eine optimale Beleuchtung des fokussierten Objektes im Vordergrund sorgen. Insgesamt kann man sich das Set hinter der Vielzahl an Kameras und Ton-Geräten bei der virtuellen Filmproduktion wie einen großen Raum vorstellen, der flächendeckend von LED-Panels umgeben ist und durch externe, künstliche Beleuchtung angestrahlt wird. Die erzeugten CGI-Bildinhalte auf den verschiedenen Bildschirmen an den Wänden und der Decke werden von den bewegten Kameras aufgenommen, während sich die Perspektiven der Echtzeit-Aufnahmen so ändern, dass sie ein dreidimensionales Bild erzeugen. Ein dreidimensionales Bild, bei dem der Eindruck entsteht, dass das Objekt oder die Person im Vordergrund in einem realen Raum steht.

Doch nicht nur aus technischer Sicht bietet die Erzeugung eines digitalen, dreidimensionalen Raumes direkt am Film-Set Vorteile. Auch das Team vor Ort bekommt sofort einen Eindruck von der Welt oder Landschaft, in denen die ein oder andere Szene im Film spielt. Lars Poe sieht besonders für einen bestimmten Teil der am Film Beteiligten einen Vorteil: "Die Schauspieler bekommen zusätzlich eine bessere Vorstellung der kreierten Welt als bei einem Green-Screen.“ Eine Tatsache, die sich möglicherweise auch auf die Schauspiel-Performance und Authentizität des finalen Endproduktes auswirken könnte.

Green-Screen ist noch immer die gängige Technik

Die klassische Screen-Technologie dominiert allerdings auch heute noch die größeren Produktionen im deutschen sowie internationalen Raum. Auch für Nachrichten-Shows, Image-Filme oder Werbespots sind Green- und Blue-Screens immer noch eher die Regel als die Ausnahme. "Die Verwendung der Green-Screen-Technik ist in der tagesaktuellen Produktion weit verbreitet, aber auch in Formaten mit historischem oder technischem Bezug, wie zum Beispiel Terra X“, sagt Thomas Winzberg, Sozialwissenschaftler, Filmtechniker und Lehrbeauftragter an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

"Meist wären diese Produktionen ohne Green-Screen aus Kostengründen kaum vorstellbar oder wegen technischer Unzulänglichkeiten wenig attraktiv und hätten keinen Markt.“ Der Filmtechniker verweist außerdem auf die schnelle Verfügbarkeit des Screens, der sogar bei beengten räumlichen Verhältnissen verwendet werden kann und die wechselnden "natürlichen" Lichtverhältnisse kompensiert.

Die Arbeit mit dem Green-Screen in der heutigen Zeit

Bei den Aufnahmen der Darsteller vor dem Green- oder Blue-Screen müssen laut der Produktionsfirma Aspekteins einige Aspekte beachtet werden. Darunter die Ausleuchtung, Schatten oder störende Reflexionen. Sofern die Aufnahmen im Kasten sind, geht das vorhandene Dreh-Material in die Post-Produktion über. Diese besteht aus zwei Vorgängen: Im sogenannten "Chroma Keying“, zu Deutsch "Farbstanzen“, das vor allem der Leitfaden der Software Vegas thematisiert, wird die grüne oder blaue Farbe im Hintergrund aus den Aufnahmen mit einer digitalen Bearbeitungssoftware herausgeschnitten, sodass nur noch die Person(en) oder Objekte im Vordergrund vorhanden sind.

Die Screen-Technologie im Wandel der Zeit

Bereits 1933 kam die damals noch vollkommen neue Screen-Technologie zum ersten Mal im Schwarz-Weiß-Film "King Kong“ zum Einsatz. Damals waren die Leinwände im Hintergrund nicht blau oder grün, sondern schwarz. Erst bei dem 1940 erschienenen Kinofilm "Der Dieb von Bagdad“ arbeitete man bei der Produktion mit einem Blue-Screen. Über die Jahre folgten weitere Streifen, die mit dieser Technik auf die Leinwand gebracht wurden wie "Der alte Mann und das Meer“ aus dem Jahr 1958 oder "Ben Hur“, der im selben Jahr Kinogeschichte schrieb.

Wenige Jahre später etablierte sich die Screen-Technologie dann auch im deutschen Raum. Populäre Produktionen wie die deutsche Science-Fiction-Serie "Raumpatrouille – Die fantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“ im Jahr 1966 oder die 1970 bis 1974 ausgestrahlte Fernsehshow "Drei mal Neun“ machten die Screen-Technologie zum Standard größerer deutscher Produktionen.

Der nächste Schritt ist das sogenannte Compositing, das laut Lars Poe der Visualisierung von Hintergründen oder Objekten dient, die letztendlich auch im fertigen Film zu sehen sind. Der Mitbegründer des selbstständigen Unternehmens cineMars Gbr verweist außerdem auf die Software-Programme Premiere, Final Cut, After Effects oder das im professionellen Bereich gängige Nuak, die für das Compositing verwendet werden.

Die Nachbearbeitung des Video-Materials erfolgt über verschiedene Softwares und ist ein nächster, wichtiger Schritt zum fertigen Film. | Quelle: cineMars GbR

Oftmals werden dabei reale Aufnahmen, die eigens aufgenommen wurden oder aus einer Video-Datenbank stammen, als Hintergrund digital eingefügt. Währenddessen werden die 3D-Objekte im Vordergrund digital modelliert und vor dem jeweiligen Hintergrund plaziert, wie das Unternehmen Aspekteins in einem Online-Artikel erläutert. Eine Technik, in der die Filmindustrie eine Möglichkeit zur Realisierung von Inhalten sah, die zunächst als nicht umsetzbar galten. "Herr der Ringe mag ein Paradebeispiel sein“, führt Thomas Winzberg als Beispiel an. "Der Stoff galt lange Zeit als nicht drehbar.“

Virtuelle Filmproduktion noch am Anfang

Auch wenn die virtuelle Filmproduktion als neue Form der Filmproduktion noch keine gängige Methode in der Filmwelt ist, hielt sie schon Einzug in die ein oder andere professionelle Produktion. Allerdings befindet sich diese neue Technologie noch in einem frühen Entwicklungsstadium und hängt von der verwendeten Software, Hardware und vor allem der Unreal Engine ab. Doch zu Zeiten des digitalen Wandels rückt die stetige Optimierung solcher Technologien immer mehr in den Vordergrund. So ist es durchaus möglich, dass die virtuelle Filmproduktion seit ihren Anfängen 2019 schon in wenigen Jahren einen weiteren, großen Schritt nach vorne macht, der sich langfristig auch auf die Machart des Films auswirken könnte.

Teaserbild: Bei virtuellen Produktion richtet sich die Kamera nicht auf einen Green-Screen, sondern auf eine LED-Leindwand, die via CGI in Echtzeit zum Leben erweckt wird. Quelle: Unsplash 

Die Autoren

Diar Nesrat Alo

André Eggermont

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