250 Kilogramm Sprengstoff bringen das Bonn-Center zu Fall. Foto: Tomas Meyer-Eppler

Fall auf Knall

Am 19. März hat die Firma Reisch Sprengtechnik das Bonn-Center gesprengt. Auch das ehemalige Deutsche-Welle Hochhaus in Köln steht noch auf der Abbruchliste. Hier wird die Thüringer Sprenggesellschaft unter Geschäftsführer Martin Hopfe Regie führen. Obwohl Sprengungen selbst nur wenige Sekunden andauern, steckt viel mehr dahinter als ein simpler Knopfdruck. // Von Nicole Brodzicz und Anja Häsel

09.06.2017//Unzählige Menschen versammeln sich vor einem Absperrzaun. Die meisten versuchen den Moment einzufangen: halten ihr Smartphone oder ihre Kamera in die Höhe. Schließlich bekommt das Bonn-Center, der Hauptdarsteller der Inszenierung, das entscheidende Signal: Ein lauter Knall ertönt - die erste Sprengung - und schon im selben Moment fällt das Bauwerk lautstark in sich zusammen. Währenddessen hören die Zuschauer einen weiteren Knall. Begleitet von Jubel erhebt sich langsam die Staubwolke. Am Ende erinnert dort nichts mehr an das Gebäude, abgesehen von rund 40.000 Tonnen Schutt, die im Fallbett liegen und auf ihren Abtransport warten. "Die Sprengung war ein voller Erfolg", meint Eduard Reisch, Geschäftsführer der Reisch Sprengtechnik. Mit dem Ablauf seien alle Projektbeteiligten zufrieden.

Das "Howto" einer Sprengung

Ob ein Bauwerk "fällt wie ein Baum" oder "zusammenklappt wie ein Zollstock", darüber entscheidet laut Martin Hopfe, Geschäftsführer der Thüringer Sprenggesellschaft, der Standort. Besteht in der Umgebung ausreichend freie Fläche, so kann eine einfache Fallrichtungsprengung durchgeführt werden. Sie werden oft bei Schornsteinen eingesetzt. Sind die Platzverhältnisse aber schlechter und das Fallbett kürzer als die Höhe, so werden mehrere Sprengebenen bestimmt. Dadurch verringert sich vor allem die Fallrichtung und es kommt zu einer Faltsprengung.

Die benutzen Sprengstoffmengen richten sich nach der Dicke der tragenden Wände und der Höhe eines Bauwerks. Für das Deutsche-Welle Hochhaus werden diese Angaben, bei denen auch die Statik berücksichtigt werden muss, noch vom Ingenieurbüro Rainer Melzer in Dresden berechnet. Hier sollen gelatinöse Sprengstoffe eingesetzt werden - zu ihnen greift Hopfe bevorzugt für den Abbruch. Beim Bonn-Center wurde hingegen Nitropenta verwendet, welches eine leicht höhere Detonationsgeschwindigkeit hat.

Die Konkurrenz

Fast jedes Bauverfahren hat Alternativen, so auch die Sprengung. Anstatt ein Gebäude zu sprengen, besteht immer die Option, das Bauwerk zu demontieren und Etage für Etage abzutragen. Ab einer Höhe von etwa 30 Metern kann dann mit einem Longfront-Bagger der Rest bearbeitet werden. Dieses Verfahren benötigt jedoch mehr zeitliche und wirtschaftliche Ressourcen. "Ein Aufwand, der im Fall der Deutschen-Welle nicht vertretbar wäre", meint Hopfe und spricht dabei auch erhöhte Sicherheitsrisiken für Bauarbeiter an.

Sicherheit bis zum kleinsten Detail

Um auch während einer Sprengung Personenschäden zu vermeiden, wird das umliegende Gebiet in Sperrzonen eingeteilt. Das Gebiet direkt um das niedergehende Bauwerk muss komplett evakuiert werden. Hier darf sich kein Mensch aufhalten, da die Behörden trotz allem ein sehr unwahrscheinliches Szenario berücksichtigen müssen: Würde ein Bauwerk als ganzer Körper in eine Richtung fallen, so kann es auch umliegende Gebäude beschädigen oder gar ebenfalls zum Einsturz bringen. Beim Bonn-Center betrug der Radius für dieses erste Sperrgebiet 100 Meter.

In einem entfernteren Gebiet kann zumindest eine grundsätzliche Gefahr durch Streuflug oder Splitter nicht ausgeschlossen werden. Allerdings dürfen sich hier die Anwohner auch während einer Sprengung in den Gebäuden aufhalten, außerhalb jedoch nicht. Erst Einsatzkräfte sind befugt, die Sperrzonen nach einer Sprengung wieder freizugeben.

Auch die Staubentwicklung ist bei jeder Sprengung ein wichtiges Thema. Beim Niedergehen eines Bauwerks zerstört sich das Material selbst, wodurch eine Menge Staub entstehen kann. Da zuvor jedes Bauwerk untersucht und behandelt werden muss, enthält dieser - wenn überhaupt - nur noch eine unbedenkliche Menge an Schadstoffen. Zum Schutz umliegender Gebäude werden dann entsprechende Folien angebracht. Da eine Einatmung der Partikel aber generell vermieden werden sollte, werden auch hier bei einer Sprengung entsprechende Maßnahmen eingeleitet: Wasservorhänge, Wasserwerfer und Hydroschilder können eingesetzt werden, um den Staub zu binden. Laut Reisch helfen diese Methoden aber nur geringfügig: "Staub ist nicht beherrschbar, aber auch nicht vermeidbar. Er würde jedoch auch bei einem konventionellen Abbruch entstehen - dann allerdings über einen längeren Zeitraum verteilt." Im Falle des Bonn-Centers hat aber auch der Wind geholfen. Dadurch zog der meiste Staub in Richtung der Baugrube.

Modernisierung auch beim Abbruch

"Hätten wir noch die Technik von vor 20 Jahren, dann wäre eine Deutsche-Welle nicht zu sprengen gewesen", fasst Hopfe die technischen Entwicklungen zusammen. Damit meint er vor allem den Fortschritt in Richtung elektronischer Zündsysteme. Die Thüringer Sprenggesellschaft setzte diese Technik erstmals 2004 bei der Sprengung des Bürohochhauses "Langer Oskar" in Hagen ein. Von da an war man in der Lage, pro Millisekunde einen Zünder zu programmieren. Entsprechende Daten werden dabei in einem Mikrochip gespeichert und für eine Detonation von einem Kondensator verwertet. "Natürlich sind auch elektrische Zünder noch immer ein bewährtes System", meint Hopfe, allerdings werden diese über Strom aktiviert und können bei nicht ausreichendem Widerstand an ihre Grenzen stoßen. Daher werden sie in der Regel nur noch für den Abbruch kleiner Bauwerke oder Schornsteine verwendet.

Aber auch abseits der Zünder gab es Modernisierungen. Durch den Einsatz von Schneidladungen ist es heutzutage möglich, auch Stahlkonstruktionen sprengtechnisch zu durchtrennen. Darüber hinaus haben sich Sprengverfahren verbessert: so auch die Vollraumsprengung, welche in den 90er Jahren neu konzipiert wurde. Bei dieser Methode werden die Hohlräume von Stützen mit Wasser befüllt, worin dann der Sprengstoff platziert wird. Nach Hopfe ist auch nicht jede Technik schlecht, die schon mehrere Jahrzehnte alt ist: "Man muss alles nur den bestimmten Aufgaben anpassen, einsetzen und zusammenstellen können - das ist es, was uns heute in die Lage versetzt, solche komplexen Aufgaben wie eine Hochhaussprengung zu lösen."

Multimedia-Reportage zur Sprengung des Deutsche Welle Hochhauses in Köln

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Interview

Wenn alles still bleibt

Martin Hopfe (64) hat an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg zunächst Geologie studiert. Danach realisierte er 1983 eine Ausbildung vom Sprengberechtigten zum Sprengingenieur. Vor knapp 27 Jahren gründete er dann die Thüringer Sprenggesellschaft, die auf Bohr- und Sprengarbeiten spezialisiert ist. Die Aufgabengebiete umfassen unter anderem Felsbau, Steinbrüche, Abbruchsprengungen und Bereiche der Bohrleistungen. Da Abbrucharbeiten viel Vorbereitungszeit benötigen, stehen diese oft im Vordergrund. Dazu zählt aktuell neben dem ehemaligen Deutsche-Welle Hochhaus in Köln auch ein Hochhaus in Duisburg - genauer: der Wohnpark Hochheide, auch Weißer Riese genannt. Aber auch kleinere Abbrucharbeiten wie die Sprengungen von Schornsteinen, Windkraftenergieanlagen und Fundamente mit Mastanlagen stehen auf der alltäglichen Liste des Unternehmens. Damit zählt Hopfe zu einem Personenkreis mit jahrzehntelanger Praxis in Sachen Sprengung und der Erfahrung, dass auch schon einmal etwas schief gehen kann.

Technikjournal: Sprengungen sind eine heikle Sache, bei denen im Vorfeld viele Daten berechnet und berücksichtigt werden müssen. Zu welchen Fehlern kann es hier kommen?

Martin Hopfe: Es kann vorkommen, dass Bauwerksteile stehen bleiben, wenn man die Sprengung nicht ordnungsgemäß vorbereitet hat. Ein solcher Fehler kann auch darauf beruhen, dass man die Bauteile oder das Material des Bauwerkes nicht richtig erkannt hat. Derartiges kann man im Nachhinein allerdings mit einer kleinen Sprengung wieder ausgleichen. Aber ein wesentlich schlimmeres Ergebnis ist es, wenn die Fallrichtung abweicht oder Schäden beim Niedergehen entstehen. Das passiert immer wieder, viele Fachkollegen mussten das schon erleben. Das Wichtigste ist aber, dass jeder seine Schlussfolgerungen daraus ziehen muss. Und hier unterstützt uns auch die Statikberechnung, die das Ingenieurbüro Rainer Melzer durchführt. Dadurch haben wir in den letzten Jahren einiges an Sicherheit dazu gewinnen können.

Technikjournal: Kam es schon einmal vor, dass Sie auf den Zündknopf gedrückt haben und es ist nichts passiert?

Hopfe: Selbstverständlich, das ist dann ein ganz einfacher Fehler bei der Zündung. Dazu kann es kommen, wenn zum Beispiel die Zündleitung unterbrochen ist. Das hat in dem Fall mit der Vorbereitung der Sprengung zu tun. Man muss dann natürlich erst einmal nach dem genauen Fehler suchen, aber vor allem ist es wichtig, in so einer Situation Ruhe zu bewahren. In unserem Beruf stehen wir sehr oft unter Beobachtung - ob das nun Zuschauer oder Journalisten sind, die sich interessieren.

Technikjournal: Wie reagieren Sie dann, wenn Sie unter dieser Beobachtung stehen?

Hopfe: Jede Sprengung muss man ernst nehmen. Jede Sprengung ist eine neue Herausforderung. Und ich habe eins gelernt: Je mehr Probleme auftreten und je mehr Einflüsse von außen auf mich einwirken, umso ruhiger werde ich. Nur mit Ruhe und Sachlichkeit kann man in so einem Fall eine schnelle und - ich hoffe immer - richtige Analyse vornehmen. Entscheidend ist, ein Problem zu erkennen und es zu beheben. Ich denke, dass man dieses Verhalten zum Teil lernen kann. Zum anderen Teil bekommt man das aber seitens des Charakters schon in die Wiege gelegt.

Sprengmeister im Fokus


Im Volksmunde nennt man sie Sprengmeister", klärt Jens Kirste vom Deutschen Abbruchverband auf. Die genaue Bezeichnung für Personen, die für Sprengungen ausgebildet wurden und diese Arbeiten dann auch ausführen dürfen, lautet jedoch "Sprengberechtigter". In Deutschland gibt es hier verschiedene Anlaufstellen, die entsprechende Lehrgänge anbieten. In Nordrhein-Westfalen zählen die Sprengtechnischen Lehrgänge in Siegen zu den bekanntesten. Deutschlandweit ist die Dresdner Sprengschule eine renommierte Anlaufstelle.

Erste Voraussetzung, um diesen Berufsweg beschreiten zu können, ist das Alter. In der Regel sind entsprechende Lehrgänge erst ab 21 Jahren möglich. Zusätzlich muss eine sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigung erbracht werden, die von den jeweils zuständigen Behörden wie dem Landratsamt oder dem zuständigen Amt für Arbeitsschutz ausgestellt werden kann. Außerdem muss ein ausreichendes Maß an Arbeitserfahrung nachgewiesen werden: Für allgemeine Sprengarbeiten ist es notwendig zuvor 50 Mal bei einer Sprengung als Helfer gearbeitet zu haben.

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